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Die geschichtliche Entwicklung der Poffiöhenbestimmungen Lei den älteren Völkern.
mittlung der spitzen Winkel zu den ersten trigonometrischen Versuchen. Als solche müssen wir
die Lösung jener Pyramidenaufgaben deuten, die sich im Papyrus Rhind, dem ältesten schriftlichen
Dokument (wohl zwischen 2000 und 1700 v. Chr. verfaßt), finden, und welche in dein klassischen Werke
A. v. Braun mühls: Vorlesungen über Geschichte der Trigonometrie, I. Bd., 8. 1 und 2, ausführlich be
sprochen sind. Speziell für unseren Gegenstand, die Eruierung eines geographischen Datums, besitzen
wir leider keine ägyptische Quelle ; allein es ist. mit aller Wahrscheinlichkeit zu vermuten, daß die Schatten
der ägyptischen Pyramiden zur Bestimmung der Sonnenhöhe und damit wohl auch der geographischen
Breite gerade in erster Linie gedient haben müssen. Hoffentlich wird die eifrige Forschung der Ägyptologen
auch in astronomischen Fragen dieses ältesten Kulturvolkes bald Aufklärung bringen.
Ein ähnliches Dokument aus grauer Vorzeit, welches uns einen deutlichen Einblick auch in die
Astronomie der Chinesen tun läßt, besitzen wir in dem uns durch E. liiot 1 ) erschlossenen Werk
„Tseheou pey-swan-king", d. h. „Heiliges Buch der Rechnung, genannt Tscheou pey", welcher letztere Aus
druck mit „Gnomon im Kreise“ -) übersetzt werden kann. Ein größerer Teil desselben handelt von der
Anfertigung und dem Gebrauch des Gnomons. Die Regel zu dessen Herstellung soll nach R. Wolf 3 )
also lauten: „Man nehme einen Bambusstab, steche in denselben in einer Höhe von 8 Fuß ein Loch von
1 io Fuß Durchmesser; diesen Stab stelle man auf einem vorher geebneten Boden senkrecht auf; dann
suche man den Schatten desselben und beobachte ihn.“ Aus der Länge des Mittagsschattens zur Zeit der
Solstitien folgten leicht Aquatorhöhe und Ekliptikschiefe als halbe Summe, resp. halbe Differenz der zwei
Solstitialhühen der Sonne 4 ). Aus einer eingehenden Darstellung Delambres 5 ) ist zu entnehmen, daß
in China im Laufe der Zeit zehn verschiedene Messungen der Polhöhe und Ekliptikschiefe verzeichnet
sind. Wir führen dieselben chronologisch auf: Die erste mit dem Gnomon ungestellte Beobachtung
scheint um das Jahr 1100 v. Chr. stattgefunden zu haben. Dabei war der Gnomon 8 Fuß hoch; sein
Sommersonnenwendeschatten betrug 1 Va Fuß, der weniger sichere Wintersolstitialschatten 13 Fuß. Aus
diesen Daten würde eine Breite des Beobachtungsortes von « = 34° 17' 11" folgen. Man kennt jedoch
weder den Beobachter noch den Ort selbst. Für eine zweite Beobachtung, die man Liu-Hiang
zuschreibt, waren die entsprechenden Schattenlängen des Gnomons 1,54 und 13,4 Fuß, woraus © = 35° 3' 40"
folgt. Die aus beiden Messungen ermittelten Werte für die Ekliptikschiefe stimmen jedoch sehr schlecht.
Für eine dritte Beobachtung aus dem Jahre 237 n. (ihr. wird Nanking als Beobachtungsort genannt.
Solche Messungen zur Zeit der Sonnen,solstitien sind jedoch für die Genauigkeit des Resultates sehr un
günstig; denn da sich die Deklination der Sonne um diese Zeiten nur sehr langsam ändert, so kann eine
ganz beträchtliche Anzahl von Tagen — zehn und noch mehr — als Datum des Solstitiums angesprochen
werden. Dagegen ändern sich die Meridianschatten des Gnomons von Tag zu Tag, am meisten etwa
1 ‘/s Monat vor und nach der Sonnenwende, bieten mithin um diese Zeit die beste Garantie für exakte
Resultate. Diese Tatsache scheint auch bereits von chinesischen Astronomen berücksichtigt worden zu
sein. So heißt es von einer vierten Messung, daß sie die Schattenlänge von 10 Fuß für den
9. November 173 n. Chr. und 9,0 Fuß für den 7. Februar 174 n. Chr. ergab. Trotz dieser bemerkens
werten Schärfe der Beobachtungen läßt sieh hieraus ohne Kenntnis der Sonnendeklination kein Schluß
auf Polhöhe © und Ekliptikschiefe s ziehen 6 )- Bei einer fünften Observation, die im Jahre
021 n. Chr. stattfand, kennt man nur den Sommersonnenwendeschatten von 1,07 Fuß Länge, während
das korrespondierende Winterdatum fehlt. Die Konjekturen von Pater H. Gaubil 7 ) führen zu
© — 32® 10' 48",5 und s = 23 0 33' 50",5. Delambre aber bemerkt hierzu: „Gotte obliquité serait bien
petite. Gaubil ajoute une ombre d’été de 0,58 pieds; il dit qu'elle est évidemment fausse; on pourrait
soupçonner qu'il y avait 1,58 pieds." Die sechste Beobachtung ist die der drei Schatten von Tsu-
') E. Biot, Traduction et examen d'un ancien ouvrage chinois intitulé Tscheou-pei, littéralement: Style ou signal
dans une circonférence. Journal Asiatique 1841.
Um den Fuß war nämlich ein Kreis mit oGä' ä Teilen auf der Peripherie (pieds) beschrieben.
2 ) K. Wolf, Geschichte der Astronomie, 1877, S. 120.
•*) Wie man zur Nachtzeit Sternhöhen mit dem Gnomon ermittelte, lehrt. J. Sagerot, ibid. S. .V29.
r ') Delambre, Histoire de l’astronomie ancienne, Tome I, pag. 391 400.
°) Vgl. die Beobachtungen Tsoheoo-Kong (12. Jalirh. \. Clir.V) bei J. B. Biot: Précis de l’histoire de
l’Astronomie chinoise, 1801, pag. 34.
’) K. Gaubil, Traité ¿’Astronomie chinoise, pag. 336.