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Full text: 34, 1911

Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. 1911, Nr. 2. 
Erstes Kapitel. 
Spuren astronomischer Messungen T>ei den ältesten Kulturvölkern. 
Schon die ältesten Kulturvölker wurden durch Formulierung und Lösung einfacher geometrischer 
Probleme, welche ihnen die Verhältnisse des praktischen Lebens und die Beobachtung des Himmels von 
selbst darboten, zu genaueren Messungen und damit zu den ersten mathematischen Studien veranlaßt. Es 
unterliegt keinem Zweifel, daß sich mit der ägyptischen Feldmeßkunst auch primitive astronomische 
Methoden gleichzeitig entwickelten, wohl im Anschluß an die periodische Wiederkehr gewisser Phänomene, 
den Lauf der Sonne, den Auf- und Untergang der Gestirne u. a. Die Schar der Parallelkreise, in welchen 
die jährliche scheinbare Sonnenbahn verläuft — Tierkreisgürtel —, mußte bald zu einer Fixierung ihrer 
Neigung zum Horizonte oder der senkrecht auf ihrer Ebene stehenden Drehachse — Weltachse — und 
damit zum Begriff der Polhöhe führen. Die Bestimmung eines solchen Neigungswinkels war sehr wohl 
schon möglich, als man die Kugelgestalt der Erde noch nicht erkannt hatte, wennschon damit das Wesen 
der geographischen Breite, als des integrierenden klimatischen Faktors, nicht erschlossen werden konnte. 
Erst bei den Griechen scheint die Veränderlichkeit der Polliöhe mit wechselndem Beobachtungsort 
klar erkannt und dann mit einer notwendigerweise kugelförmigen Erdgestalt in Verbindung gebracht worden 
zu sein; eine ebene Scheibe würde ja eine allerorts konstante Polhöhe nach sich ziehen. Sollte die 
Nechofahrt mit all ihren astronomischen Neuheiten ohne Konsequenzen für diese wichtige Frage der 
mathematischen Erdkunde geblieben sein? 
Unmittelbar von selbst bietet sich zur Bestimmung des Sonnenstandes der Schatten eines aufrechten 
Gegenstandes dar, und so treffen wir auch als eines der allerersten astronomischen Instrumente 1 ), sowohl 
bei den Chinesen als auch Ägyptern und Babyloniern 2 ), einen senkrecht stehenden Stab — den Gnomon — 
resp. die Pyramide 3 ), und das mit dem Schatten gegebene rechtwinklige Dreieck führte in der Er- 
q „Malgré sa simplicité, le gnomon ne peut être considéré comme appartenant nécessairement à la civilisation 
primitive . . . Avant de mesurer, par exemple, l’inclinaison de l'écliptique sur l’équateur, il taillait nécessairement avoir la 
notion d’un équateur et d’une écliptique et être capable de se représenter dans une figure les rayons projetés par un corps 
céleste mobile sur une sphère. Eu un mot, il fallait déjà être astronome et géomètre.“ (M. Jules Sageret: Le Gnomon, 
Revue scientifique, 1910, pag. 526). 
2 ) Von diesen haben die Griechen bekanntlich Gnomon und Polos überkommen; dies ergibt sieh aus Herodot 
B. II, 109 und aus verschiedenen Stellen dos Almagest, während nach M. Jul. Sageret (ebenda S. 527) der Polos bei 
den Juden im 8. Jahrhundert v. Chr. Erwähnung findet. (Vergl. Vers 8, Kap. XXXIII bei Isaias: „Invocavit propheta 
Dominum et reduxit umbrain per lineas quibus iam desccnderat in horologio Achaz retrorsum decem gradibus.“ Über di< se 
Jesaias-Stelle, das anscheinend wunderbare Zurückweichen des Zeigerschattens auf natürliche Weise (sogenanute größte 
Digression oder Elongation) zu erklären, handeln eine Menge Schriften. Wir führen an: D. Schwenter, Deliciae physico- 
mathematicae, Nürnberg 1626, S. 353 il. Widder, De Solis et umbrae stili retrogradatione, Groningen 1760. Ausführlich 
bespricht deuselben Gegenstand auch Lösehner, Über Sonnenuhren, Graz 1906, S. 22 fi'., wobei jedoch unrichtigerweise 
behauptet wird, dies Phänomen trete ein, wenn die Deklination 3 der Sonne kleiner sei als die geographische Breite cp des 
Ortes, d. h. in der heißen Zone (!). Das Versehen scheint auf R. Wolf, Handbuch der Astronomie, I. Bd., S. 432 (nicht 
II. ßd.!) zurückzugehen, wo die Ungleichung lautet: p<90° — cp. Bei Wolf ist aber p = 90° — 0, woraus folgt 8>cp. 
Dieser Fall kann für die heiße Zone wohl eintreten. Bekanntlich ist, wenn v den Winkel am Stern bezeichnet, nach 
Differentation der Gleichung: cos h ■ cos a = — cos cp • sin ? + sin cp-cos ? • cos t nach dem Azimut a (a ein Maximum). 
d « 
"Tt 
COS 8 [cos OL COS t + sin cp sin t 
cos 8 • cos v, also 
da 
COS 0•COS V 
dt 
cos h 
sin cp — sin h ■ sin 8 
cos h- cos 3 
sin h — Hieraus folgt für h nur ein reeller Wert, wenn 0 > c ist. 
Sill 1 
3 ) Das griechische Wort „Pyramide“, richtiger „Piramide“, kommt vom ägyptischen „Piremus“, d. i. „ansteigende 
Seitenkante“ dieses Körpers, her; später wurde von den Griechen diese Detailbezeichnung für das Ganze gebraucht. (Vergl. 
iqerzu M. Cantor, Vorlesungen über Geschichte der Mathematik, I. Bd., III. Aufl., 1906, S. 99 und 100.)
	        
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