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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. 1909, Nr. 3.
IV. Die Unebenheit auf dem Meeresboden.
a) Frühere und jetzige Ansichten über die Gestaltung des Meeresbodens.
Das Bild, das wir uns heute von der Gestaltung des Meeresbodens machen, steht in großem Gegen
satz zu dem früher vermuteten. Solange nur einzelne, höchst unsichere Lotungen zur Erforschung der
Tiefsee gemacht waren, glaubte man auf dem Meeresboden Gebirgsmassen, Berge und Täler, also ein ähn
liches Landschaftsbild wie auf dem Festlande zu finden. Aber infolge der außerordentlich schnell ge
steigerten Vervollkommnung der Untersuchungsmethoden und -apparate mußten diese alten Anschauungen
bald fallen.
Nach unserer heutigen Ansicht ist der Landschaftscharakter dos Meeresbodens sehr verschieden von
dem der Oberfläche des Festlandes, da beide ganz verschiedenartigen Einwirkungen ausgesetzt sind.
Treffend sagt Ratzel 1 ) darüber:
„Das Land unter dem Meere ist Boden des Wassermeeres, das Land über dem Meere ist Boden
des Luftmeeres; jenes steht unter dem Einfluß der gewaltigen Masse des ruhenden, aber an eigenen Nieder
schlagsbildungen reichen Meeres, dieses unter dem Einfluß des bewegten fließenden Wassers, dessen Masse
klein, dessen eigene Niederschlagsbildungen verschwindend sind, und ferner unter dem Einfluß der be
wegten Luft.“
Während wir von den Formen des Bodens der Tiefsee auf Grund der verhältnismäßig spärlichen
Tiefenlotungen nur eine allgemeine Charakteristik in beschränktem Umfange geben können, sind wir über
die Einzelheiten der Formen in der Flachsee gut unterrichtet, denn hier wurden schon früh aus rein prak
tischen Gründen sehr zahlreiche Lotungen ausgeführt.
Den Schelf charakterisiert Krümmel 2 ) als „eine gesimsartige Umrandung der Kontinente, die
in geologischer Hinsicht als eine erst kürzlich vom Meere eingenommene Landfläche betrachtet werden
muß, und daher eine dem trockenen Lande noch verwandte Oberflächengestaltung zeigt“. Größere Un
ebenheiten 3 ) treten im allgemeinen in der Flachsee ganz zurück. Da das Wasser seine ausgleichende
Wirkung bis auf den Meeresgrund ausübt, werden felsartige Vorsprünge, Klippen usw. durch hin- und her
bewegte Geschiebe- und Sandmassen erniedrigt oder ganz beseitigt; vorhandene Vertiefungen werden mit
terrigenen Ablagerungen ausgefüllt. Dafür werden aber Unebenheiten im kleinen hervorgebracht durch
die Gezeitenströme. So werden Sandbänke an manchen Orten aufgeworfen, die fast den Meeresspiegel
erreichen; auch flache grubenartige Vertiefungen treten auf, und in sehr seichten Meeresbecken, z. B. den
Wattenmeeren, spülen die Gezeitenströme geradezu am Meeresboden Rinnen aus, oder halten solche von
der Ausfüllung durch Sedimente frei.
Wieder an anderen Orten der Flachsee lassen die Formen ihre Entstehung an der Landoberfläche
annehmen; erst nachträglich wurden sie dann unter den Meeresspiegel getaucht. Hierher gehören z. B.
die Täler, die sich am Boden der Flachsee bis weit von der Küste verfolgen lassen und die höchstwahr
scheinlich durch Fluß-Erosion auf dem Lande entstanden sind.
Der Boden der Tiefsee hat im allgemeinen eine sehr eintönige, auf weite Strecken hin ebene
bis flachwellige Gestalt, die von allmählich ansteigenden, breiten Rücken und sanft geformten Mulden
unterbrochen wird; zwar sind die endogenen Kräfte auch hier tätig und schaffen Erhebungen und Ver
tiefungen, aber die Höhenunterschiede gehen in den meisten Fällen unter außerordentlich sanften Böschungen
ineinander über. Falls urplötzlich alles Meerwasser verschwände, würden sich dem Auge Ansichten „von
unglaublicher Langweiligkeit“ darbieten 4 ).
Diese Ebenheit wird erklärt als eine Folge der Sedimentation, d. h. wir denken sie im wesentlichen
hervorgebracht durch das Niedersinken der organischen Reste der zahllosen animalischen und vegetabilischen
Organismen, die das Meer bewohnen und die nach dem Absterben „einem Regen gleich beständig in die
'fiefe sinken“ (Chun, Aus den Tiefen des Weltmeeres) und alle etwaigen Vertiefungen des Meeresbodens
J ) Ratzel , Die Erde und das Leben, ßd. I, S. 298, Leipzig-Wien 1901.
2 ) Krümmel, Ozeanogr. I, S. 103—104.
3 ) Brückner, „Die feste Erdrinde und ihre Formen“ in Hann, Hochstctter, Pokorny: Allgemeine Erdkunde. .5. Auf
lage, Ih Abt. Wien 1897, S. 288 ff.
*) Krümmel (Ozeanogr. f, S. 91) führt einige Beispiele äußerst ebener Gegenden an.