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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1003 No. 3 —
trigonometrische Reihe nach Sinns und cosinus der Vielfachen ein und desselben Winkels die Bezeichnung
der ,.B e ss el sehen Formel“. Von meteorologischen Elementen unterzog Bes sei selbst, Luftdruck und Luft
temperatur der Darstellung durch seine Methode. Hierdurch wurde den Meteorologen zum ersten Male die
Mannigfaltigkeit ihrer Beobachtungsreihen in analytischer Form vor Augen geführt, und wenn man bedenkt,
wie sehr man nach einer solchen gesucht hat, je mehr das Material mit der Zeit an wuchs, so wird man die
Ueberschätzung sich erklären können, die man der Entwicklung nach trigonometrischen Reihen entgegen
brachte, eine Ueberschätzung, von der Besse 1 natürlich vollkommen frei war, die aber sonst das Kenn
zeichen dieses zweiten Abschnittes ausmacht.
Erst der dritten Periode, der Zeit etwa von Mitte der 80er Jahre des verflossenen Jahrhunderts an,
war es Vorbehalten, die fehlende Kritik zu üben. Den ersten Anstoß zu solchen Betrachtungen gab K. Weih
rauch in Dorpat. Seine Ansichten bedurften jedoch ihrerseits wieder einer eingehenden Korrektur, die
ihnen auch in den oben namhaft gemachten großen Berichten von Ad. Schmidt und H. Burkhardt ge
worden ist. Als neu tritt in diesem Abschnitte die, wohl zuerst von Schreiber*) behauptete physikalische
Natur der Koeffizienten auf. Es ist dadurch ein neues strittiges Moment in die Frage eingetreten, und es
erwächst daher für den Meteorologen die Aufgabe, sich über den der Anwendung trigonometrischer
Reihen in der Geophysik zu Grunde liegenden Gedanken völlige Klarheit zu verschaffen.
Die hierhergehörigen Untersuchungen der reinen Mathematik haben zu der Erkenntnis geführt, daß
eine jede Funktion durch unendliche Reihen von Sinus und Cosinus der Vielfachen ein und desselben Winkels
convergent darzustellen ist, wenn sie in dem betrachteten Intervall weder unendlich, noch unendlich oft
durch Sprung unstetig wird, noch unendlich viele Maxima und Minima besitzt. Diese sogen. „Dirichlet-
schen Bedingungen“ sind lediglich hinreichende, nicht auch notwendige. Die Funktion kann auch nur
auf eine Weise in eine in gleichem Maße konvergente Reihe der Art entwickelt werden, und es sind dann
die Koeffizienten durch die Fourier sehen Integrale bestimmt. Alle drei Anforderungen der Dirichl et sehen
Bedingungen sind bei allen in der Geophysik auftretenden zeitlichen Verläufen, hei denen die Methode in
Anwendung kommen soll, im allgemeinen erfüllt, doch könnte immerhin im gegebenen Falle die Konvergenz
der Reihe eine so langsame sein, daß die Entwicklung praktisch nicht brauchbar ist, und zu viele
Glieder zu berechnen wären. Beispiele bilden alle Verläufe mit schnellen Richtungsänderungen (luftelektrisches
Potentialgefälle, Erdstrombeobachtungen u. a. in,). Auch der Erdmagnetismus weist solche häufigen Os-
cillationen auf, und es wird deshalb im zweiten Teile vorliegender Arbeit die Grenze der Darstellungs
fähigkeit bestimmt festgelegt. Jedoch auch der zweite Punkt, daß die Funktion nicht unendlich oft unstetig
wird, zeigt sich bei tieferem Eingehen auf das Wesen empirischer Funktionen als nie erfüllt. Selbst eine
scheinbar kontinuierliche Registrierung besteht, noch bevor wir molekulare Dimensionen in Rücksicht ziehen,
aus diskontinuierlichen, z. B. gefärbten Papierfasern, zwischen denen die Darstellung einer trigonometrischen
Reihe noch beliebig hin-und herschwanken kann. Aber auch der zu Grunde liegende Naturvorgang
kann diskontinuierlich sein. So gewinnt zur Zeit die Auffassung immer mehr an Boden, daß die Sonne
elektrisch geladene Teilchen aussende, die auf die Erde gelangend, an dem Zustandekommen der erd-
elektrischen und erdmagnetischen Erscheinungen ganz wesentlich beteiligt sind. Es leuchtet ein, daß danach
die erzeugten Variationen diskontinuierlich sein müssen, und zwar ist die Zahl der Diskontinuitäten in re
lativ kleinem Zeitintervall schon praktisch unendlich. Es gibt jedoch auch Diskontinuitäten relativ zur
Länge der Periode von großer Dauer; es wird hier z. B. an die Niederschläge gedacht, für die, ob
wohl sie lange Zeit unterbrochen sein können, doch tägliche, jährliche usw. Verläufe berechnet werden.
Wir schließen aus dem Vorausgegangenen, daß es selbst durch unendliche Reihen der betrach
teten Art im allgemeinen unmöglich sein wird, eine gegebene Funktion absolut darzustellen.
Man verlangt daher nur eine Darstellung bis zu einem gewissen Grade der Genauigkeit in Zeit sowohl, als
in Ordinate. Es entspricht das dem Umstande, daß man es bei einer „empirischen Funktion“ mit einem
„Funktionsstreifen“ zu tun hat, nicht mit einer Kurve im praecisions-mathematischen Sinne. (Ueber dies
Thema vergleiche man F. Klein: Anwendungen der Differential- und Integralrechnung auf Geometrie.
Leipzig, in Kommiss, hei B. G. Teubner, 1902.) Um so mehr ist zu erwarten, daß die endliche trigono
metrische Reihe eine ungenügende Darstellung geben kann, worauf wir später zurückkommen werden. —
*} Nova Acta Leop.-Akad. 58. 1892.