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I>r. A. Caspar: Bestimmung der Polhöhe der Sternwarte zu Heidelberg und ihrer Variation.
Sehlufswort.
Da 1.1 die Breitenvariation nicht allein durch äußere Einflüsse, sondern hauptsächlich wohl durch Massen
verschiebungen in und auf der Erde bedingt wird, ist schon verschiedentlich diskutiert worden. Auch ich
möchte an dieser Stelle einiges darüber sagen.
Die Bewegungen von zur Erde gehörigen Massen kann man in säkulare und periodische trennen.
Die säkularen Massenbewegungen werden wegen der verhältnismäßigen Geringfügigkeit der dabei in
Betracht kommenden Massen einen kaum merklichen Einfluß auf die jährliche Breitenvariation ausiiben. Sie
werden zum größten Teile durch das allmähliche Ebenen der Erdoberfläche durch die Flüsse und durch
die Handelstätigkeit des Menschen verursacht. Hinsichtlich der letzteren will ich nur auf die Ausfuhr von
Kohlen und Petroleum hinweisen, deren Verbrennungsprodukte sich dann nahezu gleichmäßig über die ganze
Erdoberfläche ausbreiten werden, während die Ausfuhrländer hauptsächlich auf der nördlichen Halbkugel
liegen. Zu den säkularen Massenbewegungen könnte man allenfalls noch die Staubfälle, verursacht durch
vulkanische Eruptionen oder durch Sturmwinde, rechnen; doch sind die auf diese Art und Weise bewegten
Massen sehr gering. Ich selbst befand mich vor etwa sechs Jahren zwischen Kap Verde und den canarischen
Inseln sieben Tage lang in einem dichten Staubregen, sodaß man nur etwa 100 m weit sehen konnte; dennoch
betrug die Dicke der Staublage, die sieb in den sieben Tagen gebildet batte, nur wenig über 1 mm.
Periodische Massenbewegungen im Innern der Erde sind wegen der Unbeweglichkeit dieser Massen
infolge des auf ihnen lastenden großen Druckes ziemlich unwahrscheinlich. Tatsächlich vorhanden sind
solche periodische Massenbewegungen bei der Luft und besonders beim Wasser.
Schon bei mäßigen auflandigen Winden kann man an den Küsten ein Steigen, bei ablandigen Winden
ein Fallen des Wasserstandes bemerken. Bei schweren Stürmen können die dadurch verursachten Meeres-
niveaudifl'erenzen beispielsweise an der Kordküste Deutschlands bis zu 4 m betragen. Es ist daraus er
sichtlich, daß Winde, wie die Monsune und Passatwinde, die ausgedehnte Gebiete beherrschen und teils
ganz bedeutende Geschwindigkeiten haben, im Stande sind, große Wassermassen zu verschieben. Im all
gemeinen 1 laben, wie aus den Strom- und Windkarten zu erkennen ist, Meeres- und Windströmungen die
selben Richtungen. Kur. wenn das aufgestaute Wasser keinen anderen Abfluß findet, kann es Vorkommen,
daß eine Meeresströmung ihren Weg direkt gegen den Wind nimmt, dem sie ihr Entstehen zu verdanken
hat. Man hätte also an den Strömungen ein Mittel, um Meeresniveaudifferenzen konstatieren zu können.
Da aber untere Strömungen, deren Vorhandensein und Natur nur sehr ungenau zu bestimmen ist, die
Wirkung der oberen Strömungen abschwächen und sogar auf heb en können, so wird man dieses Mittel nur
für Wasserflächen in Anwendung bringen, deren Niveauänderungen man auf andere Art und Weise nicht
bestimmen kann: also für große Meeresteile, innerhalb deren keine Inseln vorhandeu sind. Allein zuverlässig
sind natürlich nur solche Bestimmungen der jährlichen Niveauschwankungen der Ozeane, die durch direkte
Wasserstandsmessungen gewonnen sind. Solche Bestimmungen werden aber auch eine Handhabe geben, um
die Geauigkeit der durch Richtung der Oberströmungen gewonnenen Resultate zu prüfen.
Schließlich sind noch für die nördliche Halbkugel die sich im Winter aufhäufenden Selmecmassen in
Betracht zu ziehen.
Ich bin im Begriff, mir das nötige statistische Material aus den bei der Deutschen Seewarte ein
gehenden Schiffsjournalen und anderen Quellen zusammenzustellen, um zu versuchen, die von mir gefundene
Breitenvariation durch die in derselben Zeit stattgefundenen Verschiebungen von Luft und Wassermassen
darzustellen.