Dr. L. Großmama: Die Drehung der Winde an der deutschen Küste etc.
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Diese Untersuchung der Aenderungen der Windverteilung von Morgen bis Nachmittag und weiter bis
Abend vermag nicht die Meereswinde getrennt nach See- und Landwinden erkennen zu lassen, da beiden
hier eine Einwirkung in dem gleichen Sinne — wenn auch von verschiedener Stärke — zukommt.
§ 10. Was lehrt die gleichzeitig an der Küste bestehende Verteilung der Winde
auf die Quadranten über die See- und Landwinde?
Wenn wir in dem vorigen Paragraphen ersahen, daß die Richtung der See- und Landwinde teilweise
nicht der Richtung der Küstennormalen entspricht, so werden wir doch zu erwarten haben, daß immerhin
Unterschiede zwischen diesen Richtungen für die verschiedenen Oi'te mit westlicher und östlicher Richtung
der Normalen bestehen bleiben, groß genug, um die weiteren Untersuchungen darauf zu bauen. Die zu
vergleichenden Orte müssen einander in erster Linie möglichst benachbart sein. Ein Blick auf die Karte
lehrt nun, daß die Stationen zu diesem Zwecke eine sehr günstige Lage haben, indem sie in der Aufeinander
folge von Ost nach West — Memel, Neufahrwasser, Rügenwaldermiimle, Ssvinemiinde, Wustrow, Kiel, Keitum,
Wilhelmshaven, Borkum — nach Ausweis der auf Tab. I gegebenen Küstennormalen mit diesen abwechselnd
nach West und Ost von Nord abweichen. Trotz der Nachbarschaft dieser je zwei aufeinanderfolgenden Küsten
orte sind bedeutende lokale Unterschiede vorhanden, die auf die Lage der Orte gegen die über Nordeuropa
vorüberziehenden Minima zurückzuführen sind; die vorgeschobenen Orte Wustrow und Rügenwalclermünde
werden gewisse charakteristische Unterschiede aus diesem Grunde gegen Kiel, Swinemünde und Neufahr
wasser, ebenso Keitum und Borkum gegen Wilhelmshaven, Hamburg und Kiel, Keitum gegen Borkum und
ebenso Memel gegen Neufahrwasser besitzen, durchweg Unterschiede, die mit den Meereswinden nichts zu
tun haben. Bilden wir die Unterschiede von Ort zu Ort, so tritt noch ein weiteres verwirrendes Moment
hinzu: Wir summieren im allgemeinen dabei den Einfluß, den die Küste in ihrem westlichen bezw. östlichen
Verlaufe rein mechanisch durch Ablenkung in entgegengesetztem Sinne auf die Winde ausübt.
Die Erklärung der sich von Ort zu Ort darbietenden Unterschiede der gleichzeitigen Windverteilungen
wird aus diesen Gründen eine recht schwierige, so daß es geboten erscheint, wegen der Gefahr unrichtiger
Folgerungen viele der sich darbietenden auffälligen Verhältnisse nur aufzuführen und die Erklärung ferneren
eingehenderen Untersuchungen zu überlassen.
Trägt man die Prozentwerte der Häufigkeit der Windquadranten in Karten, getrennt nach den Qua
dranten und Terminen, ein und schreibt die von Ort zu Ort auftretenden Differenzen ein, so ergehen sich
auf den ersten Blick sehr bemerkenswerte Verhältnisse, die besonders deutlich werden, wenn man die ver
schiedenen Vorzeichen der Differenzen durch die Benutzung von Farbstiften verschiedener Art ersetzt. Zu
folge Tab. I haben wir für den Einfluß der Meereswinde bei einer östlichen und einer westlichen Neigung der
Küstenteile meist bei dem NE- und SW-Quadranten entgegengesetze, bei den beiden andern gleichartige
Aenderungen der Windverteilung zu erwarten. Daher wird der Einfluß der Meereswinde am deutlichsten
für die beiden ersteren hervortreten müssen; hierzu kommt noch, daß wir im vorigen Paragraphen ersahen,
wie besonders der NW-Quadrant durch merkwürdige Verhältnisse teilweise hervortrat.
In der folgenden Tab. II finden wir für die zu vergleichenden Stationen durch je zwei Vorzeichen für
jeden Quadranten (len Einfluß dargestellt, den der verschiedene Verlauf der Küste an den zu vergleichenden
Orten auf die beobachteten Unterschiede der Häufigkeitsprozente haben müßte, wenn diese unter dem Ein
fluß von Seewinden stünde, die senkrecht zur Küste gerichtet wären. Das erste Vorzeichen gibt den Einfluß,
den die Minuend-Station, das zweite denjenigen, den die Subtrahend-Station theoretisch auf die Differenz
ausübt; in Klammern wurden nach Tab. Ia die Vorzeichen hinzugefügt, die sich für den Einfluß des See
windes oben für ergeben hätten.
Wo die Vorzeichen übereinstimmen, verkleinern oder vergrößern die Seewinde auf beiden Orten die
Differenz theoretisch, wo sie verschieden sind, kommt der stärkere Einfluß theoretisch, wie man sich durch
Fig. III leicht überzeugen kann, dem ersten'Orte, also dem ersten Vorzeichen zu, bis auf die Unterschiede
gegen Wilhelmshaven, die keine solche Aussage gestatten. Für Landwinde kehren sich die Vorzeichen ein
fach um.
Berücksichtigen wir, daß in jenen Fällen der Tabelle, in denen sich die Differenzen aus zwei Gliedern
verschiedenen Vorzeichens zusammensetzen, das resultierende Vorzeichen noch von der möglicher Weise
verschiedenen Stärke der See- oder Landwinde der verglichenen Orte abhängt, so ergibt sieh, daß die
Theorie zunächst nur zweierlei als Ergebnis der Beobachtungen fordert: 1) Zur Zeit des Seewindes negative