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Ans dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1901 No. 1 —
und der sich selbstthätig ablösende Oberdrache (s. S. 87) wichtige Sicherheitsmaassregeln. Da die Spannung
durch rasches Einholen vergrössert wird, so muss man, wenn die Spannungen gross werden, hauptsächlich
die Zeiten, wo sie nachlassen, zum Einholen ausnutzen. Vor Gewittern sind die Drachen immer thunlichst
zu bergen, weil ein Blitzschlag in den Drachen den Draht in feurigen Dampf auflöst, wie dies in Amerika
vorgekommen sein soll.
Scharfe Biegungen kommen am ehesten an den Befestigungsstellen von Zweigleinen oder bei Splissungen
vor. Herr Teisserenc de Bort hat mir gegenüber die Ansicht ausgesprochen, dass es die an diesen Stellen
stattfindende Unterbrechung der regelmässigen Vibrationen des Drahtes*) sei, die eine Lösung des inneren
Zusammenhanges seiner Theilclien bewirke. Mir selbst erscheint es aber wahrscheinlicher, dass die Ursache
in Knickungen des Drahtes zu suchen ist. Kann man doch den härtesten Stahldraht durch wiederholtes
Biegen mit der Zange oder selbst mit den Fingern abknicken. Am 5. Dezember 1899 ist der 0.8 mm starke
Hauptdraht dicht oberhalb der Klemme, an der das Instrument hing, anscheinend infolge der Schwan
kungen des letzteren, abgeknickt. Auch bei Anbringung des obersten Instruments im Drachen bleiben ähn
liche Gefahren beim Anklemmen von Nebendrachen oder eines unteren Instruments bestehen. Die An
wendung der oben erwähnten Knopp’schen Klemme, deren Beschreibung wir demnächst vom Ivönigl. Preuss.
Aeronaut. Observatorium erwarten dürfen, wird dieselben gering machen und zugleich die Hantierung be
schleunigen.
Muss man das Instrument an die Leine hängen, so empfiehlt es sich, einen Schutz gegen Stösse an
demselben anzubringen. Es braucht dies nicht gerade eine ganze Korbhülle zu sein, auch drei elastische
Stangen nach den drei Richtungen des Raumes genügen, um einen Theii von der Gewalt des Stosses abzu
mildern; die Erfahrung zeigt, dass selbst das ungeschützte Instrument viel mehr verträgt, als man von
seinem zarten Bau erwarten sollte. Sind die Enden dieser Stangen durch Bäusche gedeckt und durch
Schnüre verbunden, so ist auch die Gefahr, dass das herabfallende Instrument eine Person beschädigen
werde, nicht gross.
Wenn ein Drache mit einem beträchtlichen Stück von der Leine fortfliegt, so kommt bei seinem all
mählichen Sinken naturgemäss diese viel früher in Berührung mit dem Erdboden, als der Drache selbst.
Besteht sie aus Schnur, so schlingt sie sich bald um irgend ein Hinderniss und der Drache bleibt schweben,
ist weithin sichtbar und kann leicht geborgen werden. Glatter Draht dagegen gleitet über diese Hindernisse
hinweg, legt sich beim Fallen des Drachens auf den Boden und kann hier Unheil anrichten und zugleich selbst
unbrauchbar werden. Es wird sich daher unter Umständen empfehlen, im oberen Theile des Hauptdrahts
— nur dieser Theii kommt in Frage, da die Spannung nach unten zu abnimmt — einen oder mehrere kleine
Anker anzubringen, namentlich über gefährdet erscheinenden Stellen. Fig. 86 zeigt einen solchen Anker:
h ist der Hauptdraht, k eine der S. 88 beschriebenen Klemmen, a das als Anker dienende Stück Stahldraht,
das zu einer Schlinge gebogen ist und ausserdem die Schnur s trägt. Es ist freilich schwer zu sagen, ob
man ein solches Festhaken mehr wünschen oder fürchten soll. Geschieht es in der Nähe und dauernd ge
nug, so enthebt es einen freilich so gut wie aller Sorge. Schon mehrmals ist so in Hamburg ein fort
geflogener Drache, der sich in geringer Entfernung an einem Zaune oder dergl. verankert hatte, fliegend
ohne Schaden zurückgeholt worden. Findet aber ein immer erneutes Verankern und Wiederlosreissen statt,
so kann die Reise des Gespanns, wie die Berliner Erfahrung vom 26. Juli 1900 zeigt, auf abenteuerliche
Entfernungen ausgedehnt werden und die Gefahr für allerhand Unfälle während derselben ist nicht un
bedeutend.
Selbstverständlich müssen alle oder doch einige Drachen des Gespanns eine Aufschrift tragen, die an-
giebt, wo sie abzugeben sind oder welche Stelle zu benachrichtigen ist, und eine Belohnung hierfür ver
spricht. Auf die Drachen der Seewarte wird ein auf Leinwand deutlich gedrucktes Plakat dieses Inhalts
aufgenäht; seit dieses geschieht, ist kein Drache verloren gegangen, sondern stets sehr.rasch der Drache
oder Nachricht von ihm überbraclit worden.
Reisst die Leine und sieht man den oder die Drachen fortfliegen, so hat man sich, wenn sie ausser
Sicht kommen, zwar die Richtung ihres Fluges zu merken, aber seine Aufmerksamkeit zunächst der Bergung
des Instruments und des Drahtes zuzuwenden. Werden beide noch von einem Drachen getragen, so holt
*) Der Draht giebt, wenn er unter starker Spannung ist und mehrere hundert Meter von ihm ausstehen, fast stets
ein mehr oder weniger schrilles Summen von sich.