W. Koppen: Erforschung der freien Atmosphäre mit Hülfe von Drachen.
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als die unteren ist, nach derselben Seite hin, der oberste, mit dem Schwanz versehene, gewöhnlich am
meisten; seine Deformation also ist es vor allem, die die Lage des Gespanns bestimmt. Sind sie so von
40°—45° Höhe auf 20°—25° herabgestiegen, so richten sie sich sehr oft wieder auf, nehmen wieder ihre alte
Stellung und ihre frühere Höhe ein, um nach 5 oder 10 Min. abermals, diesmal vielleicht nach der anderen
Seite, auszuweichen. Fig. 79 stellt den Anblick des Gespanns von der Winde aus in solchen Fällen dar.
Das Wiederaufsteigen geschieht manchmal noch, wenn die Drachen fast den Boden berührt haben;
aber schliesslich bleiben sie doch auf der Erde oder in Bäumen etc. hängen. Die Katastrophe kann hinaus
geschoben werden, wenn man rasch mehr Draht nachlässt resp. sich abhaspeln lässt; aber auf die Dauer
lässt sie sich auf diese Weise nicht vermeiden und ist um so unangenehmer, je mehr Draht dann ausgegeben
ist, je weiter er also über Land liegt. Findet noch ein Wiederaufrichten der Drachen statt, so geht dieses
durchaus nicht immer vom obersten, sondern oft von einem der unteren aus, wenn der Zug des obersten nach
lässt. Wenn dieses Seitwärts-Ausweichen der Drachen von Störungen in ihrer Symmetrie herrührt, die
unter starkem Winddrucke in der Luft entstehen, so läge es nahe, zu erwarten, dass diese zufälligen De
formationen hei den verschiedenen Drachen eines Gespannes entgegengesetzt sein und einander entgegen
wirken werden. Allein leider scheint es, dass, wenn der oberste Drache durch seine Deformation die unteren
zur Seite zieht, diese in derselben Richtung Symmetriefehler bekommen. Denn dieses übereinstimmende
Ausweichen des ganzen Malay-Gespannes nach der einen oder der andern Seite ist stets eingetreten, wenn
die Windgeschwindigkeit am Boden über 10 m pro Sek. stieg. Wahrscheinlich würde in dieser Hinsicht ein
Gespann, in welchem jeder Drache unabhängig an einer Zweigleine fliegt, mehr Ausgleichung des Abirrens
einzelner von ihnen bieten; allein da Malay-Drachen ohne Schwanz zu wenig stabil sind und der an kürzerer
Zweigleine fliegende seinen Schwanz in die Leine des andern verwickeln würde, so ist doch die Hinter-
einander-Fesselung, so lange nur der Wind nicht stark wird, vorzuziehen, da sie hei leichtem Winde einen
sehr ruhigen Flug ergiebt. Natürlich können auch beide Systeme kombinirt werden: zwei Drachen hinter
einander, einer an kürzerer Zweigleine.
Die einzelnen Drachen des Gespanns sind besonders hei schwachem Winde in fortwährender schaukeln
der Bewegung, die indessen nur am Boden stark ist und nach oben immer mehr abnimmt. Sie beschreiben
dabei liegende Achten (oo), wobei der Kopf immer dem Schwanz etwas voraus ist. Ausnahmsweise macht
ein Drache ohne erkennbare Ursache diese Bewegungen stark und anhaltend, und fliegt das Gespann erst
ruhig, wenn er durch einen andern ersetzt oder fortgenommen ist.
Ein ähnliches, aber doch anderes Phänomen zeigen zwei von den neuen „Froschdrachen“; sie haben
die Neigung, sich zeitweise und abwechselnd nach rechts oder links zu legen und in völlig stabilem, aber
niedrigem Fluge weit aus der Windrichtung (mit dem Kopf voran) hinauszugehen. Dieselben Drachen zu
einem „Doppelfrosch“ verbunden, haben diese Neigung nicht. Andere, anscheinend ebenso gebaute Exem
plare dieser Form, zeigen sie auch im Einzelfluge nicht.
Von den Hargrave-Drachen giebt Herr Fergusson im Bericht von 1897 (S. 62) an, dass sie Wind
geschwindigkeiten von 6 bis zu 20 m pro Sek. stabil fliegen. In seiner Mittheilung an die Londoner meteo
rologische Gesellschaft vom 15. Juni 1898 (Qu. Journ. 1898, S. 254) giebt Herr Rotch an, dass sie auf dem
Blue Hill bis zu 22'/2 m pro Sek. fortfahren zu fliegen. Diese Zahlen beziehen sich wahrscheinlich auf die
Windgeschwindigkeit am Drachen selbst, nicht auf die fast ohne Ausnahme geringere am Erdboden. Auch
unter den, leider nur wenigen, befriedigenden Aufzeichnungen des elektrischen Anemometers im Marvin-
Meteorograph der Seewarte findet sich eine, am 16. Oktober 1900 in ca. 800 m Höhe gewonnene, die während
50 Minuten eine Windgeschwindigkeit von 18m pro Sek. ergehen hat; in einer Reihe anderer Fälle war die
selbe wohl noch grösser, weil das Anemometer wegen Kürze der Kontakte versagt hat; der Marvin-Drache
flog dabei auch in diesen Fällen ganz gut.
Herr Hargrave selbst giebt zwar in seiner Mittheilung an die R. Soc. of N. S.W. vom 5. August 1896
(Aeron. Journ. 1897, S. 10) nur 13.4 m pro Sek. (am Erdboden?) als die wahrscheinliche obere Grenze für
gutes Fliegen an; erzählt aber, dass als bei stürmischem Wetter am 22. Juli 1896 eines der Längshölzer in
der Luft brach, so dass eine halbe Zelle zusammenfiel, der Drache fortfuhr, stetig zu fliegen. „It is this
remarkable stability that makes the cellular form of aeroplane so suitable for flying machines“, bemerkt
Hargrave dazu. Auch mir ist etwas ähnliches begegnet; am 18. Mai 1901 ist ein grosser Kastendrache nach
Marvin’s Modell in der Luft an mehreren Stellen zerdrückt und flog darauf doch stabil bis zur Landung;
allerdings geschah der Bruch ziemlich symmetrisch, nämlich vor allem an den Mittelstangen (obere Enden)