81
W. Koppen: Erforschung (1er freien Atmosphäre mit Hülfe von Drachen.
b) Lage und Bewegungen der Brachen in der Luft. Die wechselnden Stellungen und Be
wegungen der Drachen in der Luft sind noch wenig erforscht. Um wenigstens die Winkel zu bestimmen,
welche die Drachenfläche mit dem Horizont und mit der Leine bildet, hat Samuelson schon vor einer Reihe
von Jahren durch zwei Pappscheiben unterhalb der Bucht und Marken auf der Drachenfläche sich feste
Visire geschaffen, und in neuerer Zeit haben Marvin u. A. diesen Zweck durch eine Skala im Obersegel der
vorderen Zelle des Hargrave-Drachens, die je nach der Neigung des Drachens zum Horizont für den Be
obachter bis zu einem bestimmten Strich durch das Untersegel verdeckt wird, erreicht. Der Winkel zwischen
Drachenfläche und Horizont beträgt danach beim Hargrave-Drachen zwischen 14° und 26°. Der Winkel
zwischen der Drachenfläche und dem obersten Theil der Leine stellt sich nach Marvin’s Messungen (1896)
bei guten Zellendrachen zwischen 68° und 84° heraus. Diese Winkel gelten aber nur für normale Fesselung
in massigem Winde; wie sie sich in starken Winden bei der neuerdings angewandten zerreissenden oder
sich ausdehnenden Bucht gestalten, darüber liegen keine Mittheilungen vor.
Die obigen Werthe gelten nur für ruhigen Flug des gut „stehenden“ Drachens. Die Abweichungen
von diesem sind von zweierlei, oft schwer auseinanderzuhaltender Art: auch der beste Drache muss seine
Stellung ändern, wenn der Wind sich ändei't; unvollkommene Drachen aber ändern sie auch in stetigem
Winde in mannigfaltiger, oft stürmischer Weise und vermögen bei den thatsächlich fortwährend stattfinden
den Aenderungen in der Richtung und Stärke des Winddruckes eine neue Gleichgewichtslage nicht so bald
oder überhaupt nicht zu finden.
Eine Klarstellung der verschiedenen Arten der Instabilität von Drachen und ihrer Ursachen ist noch
nicht gelungen. Dies ist sehr zu bedauern, weil damit auch die Mittel fehlen, diese Ursachen beim Bau
von mehr oder weniger neuen Drachenformen zu vermeiden. Selbst sehr kleine Abweichungen von vor
handenen guten Modellen in Bezug auf Form und Gevvichtsvertheilung können in dieser Hinsicht unange
nehme Ueberraschungen bringen. Ich will versuchen, aus den gewonnenen Erfahrungen wenigstens einige
allgemeinere Ergebnisse zu ziehen.
Auf die mannigfaltigen Bewegungen der gewöhnlichen einflächigen Drachen können wir hier nicht näher
eingehen. Sie sind offenbar zum grossen Theilo entweder dauernden Mängeln der Symmetrie oder vorüber
gehenden Formveränderungen des Gestells und des Bezuges zuzuschreiben. Sie können in den meisten
Fällen gemildert oder aufgehoben werden durch Hinzufügung eines genügend grossen Schwanzes. Bei sein-
kleinen Drachen übertrifft dieser an Gewicht und Oberfläche den Drachen selbst bei weitem. So fand ich
vor Jahren das Gewicht eines auffallend gut steigenden Miniatur-Drachens aus Seidenpapier zu 4.2 gr, wäh
rend sein Schwanz 6.7 gr wog.
Ein zu grosses Gewicht des Schwanzes bringt den Drachen zum Pendeln und eventuell Herumschiessen,
vgl. S. 37 und Aeronaut. Journ. Yol. III, S. 3. Diese Thatsachcn scheinen keine andere Deutung zuzulassen,
als dass zwar für die Erhaltung des Drachens in der Vertikalebene des Windes und der Anheftungsstelle
am Erdboden das Nicht-Zusammenfallen von Schwerpunkt, Druckpunkt und Fesselpunkt nothwendige Be
dingung ist, dass aber eben diese Stabilität durch Pendeln gefährdet wird, sobald der Abstand zwischen
diesen Punkten eine gewisse sehr kleine Grösse übersteigt.
In einem Falle aus jüngster Zeit hat aber auch diese Erklärung versagt; von zwei möglichst gleich
gebauten Treppendrachen fliegt der eine gut, während der andere nach kurzem Fluge ins Pendeln kommt,
wobei die Ausschläge schnell wachsen und nach 3 bis 4 Ausschlägen der Drache umschlägt und herab-
schiesst. Weder eine Aenderung der Bucht, noch eine Entlastung des unteren und Belastung des oberen
Randes des Drachens haben bisher diesen Fehler aufzuheben vermocht.
Von dem Pendeln verschieden sind die Bewegungen, die ein Drache macht, dessen Symmetrie mangel
haft ist; ein solcher wird, und zwar mit dem Kopfende voraus, vom Winde zur Seite gedrückt, und wenn
die Asymmetrie stark ist, im Kreise herumgeführt ; ein eiuflächigcr Drache wird dabei zum raschen Kreisen
um ein nicht weit ausserhalb seines Randes liegendes Zentrum, zum „Nudeln“ nach hiesigem Ausdruck,
genöthigt.
Suchen wir in das Chaos der Bewegungen, die man an Drachen beobachten kann, etwas Ordnung zu
bringen, so müssen wir vor allem Bewegungen bei zu schwachem Winde von solchen bei zu starkem Winde
unterscheiden, zwischen welche die für den Flug günstigsten Bedingungen bei massigem Winde fallen. Das
Studium dieser Bewegungen ist schwierig, weil der Beobachter nur die in seine Bildebene fallende Kompo-
] [
Archiv 1901. 1-