W, Koppen: Erforschung der freien Atmosphäre mit Hülfe von Drachen.
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ruhig fliegen kann. Merkwürdiger Weise überwiegen hier bei den Malay-Drachen horizontale, bei den Har-
grave-Drachen vertikale Bewegungen. Die letzteren wechseln mehr ihren Höhenwinkel, die ersteren mehr
ihr Azimut, unter leichten schaukelnden oder co-Bewegungen.
Ist bei leichtem Winde das Emporbringen der Drachen schwierig, das Landen derselben einfach, so
ist bei starkem Winde dafür das Landen das weit gefährlichere Manöver. In Prof. Marvin’s „Instructions
for Aerial Observers“ sind folgende Anweisungen für die grossen Hargrave-Drachen des Wetter-Bureaus ge
geben (S. 21):
,,a) Landen des Drachens in leichtem Winde. Diese Operation besteht wesentlich darin, dass man dem
Drachen gestattet, in die Hände eines Gehülfen zu fallen, der unter ihm steht; sie kann nur angewendet
werden, wenn der Wind zu schwach ist, um das ganze Gewicht des Drachens zu tragen. Diese Art des
Landens kann in verschiedener Entfernung vom Haspel ausgeführt werden, gewöhnlich wird es aber am
besten sein, den Drachen auf 200 oder 800 Fuss (60 —90 m) heranzubringen. Während der Drache ein
geholt wird, um ihn schwebend zu erhalten, muss ein Gehülfe eine Stellung direkt unter demselben ein
nehmen. Der am Haspel Operirende wird es möglich linden, durch passende Handhabung der Kurbel den
Drachen langsam fallen zu lassen, während der Gehülfe die zentralen Längsstöcke irgendwo in der Nähe
ihrer Mitte erfasst. Der Gehülfe sollte den Drachen so äbfangen, dass sein Körper durch den offenen Raum
zwischen den Zellen hindurchgeht.“
„b) Landen des Drachens in schwerem Winde. Zu diesem Zwecke wird die Aluminium-Landungsrolle
benutzt. Der Drache sollte eingeholt werden bis zu nicht mehr als 150 Fuss (45 m) von der Winde. Als
dann wird die Landungsrolle auf den Draht gesetzt, und der Gehülfe geht hinaus bis zu einem Punkte,
möglichst nahe zu dem, wo der Drache den Boden en-eichen wird. Die Schnur, die an der Landungsrolle
befestigt ist, sollte lose laufen und man muss zu vermeiden suchen, die Rolle über den Draht zu ziehen,
während die Schnur in Spannung ist, weil dabei der Draht etwas geschädigt wird. Wenn ein Punkt un
gefähr unter dem Drachen erreicht ist, muss der Gehülfe die Landungsschnur einholen, indem er sie schnell
anzieht, so lange der Drache stetig fliegt, aber vorsichtig verfährt, wenn der Drache Neigung zeigt, zu
schiessen. Wenn der Drache ernstlich niederzuschiessen Miene macht, muss man die Landungsleine durch
die Hand auslaufen lassen, bis die stürzende Bewegung nachgelassen hat. Der Gehülfe muss dabei seine
Stellung wechseln, um direkt unter dem Drachen zu bleiben, und während er die Landungsleine einzieht,
muss er sie so abmessen, dass zu der Zeit, wenn er die Rolle erreicht, diese bis ans äusserste Ende des
Drahts gelaufen ist; in diesem Augenblick ergreift er schnell die Bucht des Drachens und danach den
Drachen selbst.*)“
Die Befolgung dieser Vorschrift erfordert übrigens recht viel Hebung und Geschick; wie die Erfahrung
gleich beim ersten Aufstieg des Marvin’schen Drachens in Hamburg gezeigt hat, ist auch bei Benutzung der
Landungsrolle eine Katastrophe nicht ausgeschlossen, wenn man die Tendenz zum Ueberschiessen des Drachens
zu späterkennt; ist Raum und Personal genug vorhanden, so dürfte das hier an Hargrave-Drachen erprobte
Verfahren noch mehr Sicherheit bieten: vom hinteren Ende des Drachens lässt man eine etwa 50m lange
Schnur (Schwanz- oder Schleppleine) herabhängen, die die zweite Person — an der Winde braucht in diesem
Falle nicht nothwendig Jemand zu bleiben — ergreift und möglichst genau in dem Azimut des Drachens
fortzieht, während die erste mit der Rolle sich dem Drachen von vorne nähert. Das Vornüberschiessen,
wobei der Drache den geringsten Luftwiderstand, also die grösste Geschwindigkeit, entwickelt, ist dann aus
geschlossen, und das vorzeitige seitliche Herabfallen ist, wenn beide Personen den Drachen nachgiebig
behandeln, d. li. nie zu stark und in keiner andern Richtung, als wohin er fliegt, ziehen, unschwer zu ver
meiden.
Die eben erwähnte Landungsrolle hat in Hamburg eine noch wichtigere Anwendung erhalten für das
Auflassen und Landen der Drachen bei Winden, bei denen das vorhandene Terrain nicht den genügenden
Raum bietet, um ein direktes Manövriren vom Haspel aus zu gestatten. Da auf dem Drachenplatze in
Hamburg-Eimsbüttel nur ca. 10 m nach NW vom Haspel eine Strasse und hinter dieser ein Kanal läuft, so ist
bei allen Winden aus der Südosthälfte des Horizonts das Auflassen der Drachen direkt vom Haspel aus
bei leichtem Winde nicht möglich und bei starkem zu gefährlich, da sie nicht schnell genug aus der unteren
Brandungsschicht kommen. Dann wird der Drache an eine passende Stelle am NW-Rande des Platzes ge
*) Hierbei ist vorausgesetzt, dass die Endkausch des Drahtes nur etwa 1 m vom Drachen entfernt ist.