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W. Koppen: Erforschung der freien Atmosphäre mit Hülfe von Drachen.
Holz mit engem Mittelloch brauchten dagegen nur auf einem horizontalen Eisenstab als Axe gegenüber der
Trommel in der Fenster-Öffnung der Drehbude eingespannt zu werden, um das Aufwinden des Drahtes auf
die Windentrommel ohne Anstoss geschehen zu lassen, wenn ein Mann diese drehte und ein anderer die
nothweridige Spannung im Draht durch Bremsen der Holzspule mittels eines dagegen gedrückten Holzstücks
oder sonst wie erzeugte.
Den in Rede stehenden Musikdraht kann man jetzt je nach der Dicke, in Längen von 1500 bis 5000 m
erhalten — je dünner, um so länger —, so dass nur wenige Splissungen zur Herstellung einer beliebig
langen Drachenleine erforderlich sind. Immerhin bleibt die Verbindung der Drahtstücke unter einander,
sowie mit Schnüren zur Herstellung der Drachenleine eine der wichtigsten Fragen der Drachentechnik, die
grosse Sorgfalt erheischt. Denn auf der einen Seite sind, wie auch bei Schnüren, ziemlich scharfe Biegungen
das geeignetste Mittel, um das Herausgleiten der Drähte aus der Verbindung zu verhüten,*) andererseits
verringern eben diese scharfen Biegungen die Festigkeit des Drahtes so sehr, dass sie an Stellen, wo die
volle Spannung des übrigen Drahtes auf sie wirkt, eine wenn auch noch so grosse Festigkeit des übrigen
Drahtes illusorisch machen, da sie die Bruchstellen abgeben.
Die zur Zeit gebräuchlichen Verbindungsweisen sind die folgenden:
A) Verbindung zwischen Draht und Schnur. Bei Tieflothungen geschieht zur Zeit die Verbindung
des Drahtes mit dem etwa 20 m langen Schnur-Vorläufer, der zur Vermeidung von Kinkenbildung beim Auf
treffen des Lothes auf den Grund an den Draht geschaltet ist, in der Weise, dass der Draht auf eine
Länge von ca. 2 m in die Schnur eingesplisst ist mit Takelingen von Pechdraht in je , : j m Abstand.
Für Drachen würde diese Methode unzweckmässig sein, da die äussersten 40—GO m Drahts, die vor
dem Auflassen auf dem Boden liegen — bisweilen stundenlang — am häufigsten kleine Beschädigungen er
leiden, deshalb leicht entfernbar sein müssen, das Einsplissen aber eine mühsame und zeitraubende Arbeit ist,
da es sehr sorgfältig geschehen muss. Ausserdem hat die Methode — auch für Tieflothungen — den grossen
Nachtheil, dass das in die Schnur eingesplisste Drahtstück unkontrolirbar und in der nassen Schnur dem
Rosten ausgesetzt ist. Ein so langer Schnur-Vorläufer ist zudem bei Drachen unvortheilhaft, einerseits weil
er den gerade im obersten Theil der Leine besonders schädlichen Druck des Windes auf die Leine steigert,
andererseits w-eil er beim Landen mittels einer Rolle in kritischen Augenblicken im Wege ist.
Bei Drachen ist es jetzt im allgemeinen üblich, den Draht etwa 30 cm von seinem freien Ende um
eine Kausch (englisch „eyelet“) herumzulegen und dann in der auf Fig. 70 angegebenen, weiter unten be
schriebenen Weise mit dem Rest zusammenzuspleissen. Wird eine ringförmige Kausch benutzt, so wird der
Draht zweimal um sie herumgelegt; bei einer herzförmigen kann dieses nur einmal geschehen. Am 1. Sep
tember 1900 brach in Hamburg, als der Drache sich 1490 m hoch befand, in einem starken Windstoss diese
Splissung an der Kausch, worauf der Drache mit der Kausch, aber ohne allen Draht, 3.5 km weit fortflog.
Zunächst nahm ich an, dieser Bruch sei dadurch veranlasst, dass ich abweichend von der gewöhnlichen
Vorschrift, nicht für nöthig erachtet hatte, die Splissung zu löthen. Dieses wurde von nun an sorgfältig
gethan, aber am 8. November w-iederholte sich der Vorgang trotzdem in genau derselben Weise. Beim Er
neuern des Drahtendes zeigte sich, (was ich bis dahin nicht beachtet hatte), dass der betr. Arbeiter das
Zusammendrehen des Drahtes bis allzu nahe an die Kausch fortgesetzt hatte, wodurch die beiden Drähte
an der Stelle der Trennung unter einem Winkel von mehr als 60° auseinander gingen; hierin lag voraus
sichtlich die Ursache ihres Reissens. Denn eine Reihe von Zerreissversuchen haben mir gezeigt, dass
Splissungen, in denen der Draht so stark wie in diesen gewunden ist, auch ohne Löthung, weder rutschen
noch im gewundenen Tlieile brechen, sondern die Bruchstelle stets beim Eintritt des Drahts in die Splissung,
bei dessen erster Knickung bezw. Riclitungs-Aenderung liegt. Das lästige Löthen ist also überflüssig. Aus
dem Satze vom Seilpolygon folgt aber, dass bei einer Verzweigung, die um mehr als 60° auseinander geht,
die Spannung in jedem der Zw-eigc noch grösser ist, als im Stamm und nicht etw r a, wie man denken könnte,
halb so gross. Eine so breite Gabelung muss also durchaus vermieden werden. Wendet man herzförmige
Kauschen an, so ist ein so scharfes Herandrehen der Splissung nicht möglich und dadurch die Gefahr ver
ringert. Auf dem Blue Hill wird ihr, nachdem dort ebensolche Unfälle, w-ie die oben vom 1. September
*) .Durch diese Biegungen wird die nöthige Reihung erzielt, und zwar um so mein-, je stärker die Spannung ist;
ein anderes, meist minder geeignetes Mittel dafür ist die Zusammenspannung des Drahtes mittels Schrauben oder sonstiger
Klemmen.