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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1901 No. 1 —
Luft waren. Der unterste Drache blieb mehrere englische Meilen von der Winde in einem Baume hängen,
und die vier übrigen Drachen, mit einer Tragfläche von etwa 130 Quadratfuss (12 qm), blieben nahezu
24 Stunden in der Luft. Während dieser Zeit wuchs der Wind zu einem Sturme von 18 bis 29 m pro Sek.
an, und wenn die Drachen feste Buchten gehabt hätten, hätte der Gesamtzug über 1000 Pfund steigen
müssen. Der wirkliche Zug ist nicht gemessen worden, aber er reichte nicht aus, um den Draht zu zer-
reissen, dessen Festigkeit ca. 300 Pfund beträgt. „Mit einer so wirksamen und sicheren Methode der Kon-
trole über den Zug wird es möglich, die Ilauptleine bis zu ihrer oberen Sicherheitsgrenze in Anspruch zu
nehmen“, sagt Herr Fergusson. „Die Gesamtfläche der Drachen an der Leine übertrifft oft 200 Quadratfuss
(18V2 qm), und Windgeschwindigkeiten über 18 m pro Sek. sind oft vorgekommen, während ein solches Ge
spann flog.“
Um den Maximaldruck im voraus ungefähr zu bestimmen, bedient man sich auf dem Blue Hill des
einfachen Verfahrens, die Bucht in der Ebene des Drachens zum Kopfende soweit mittels einer Federwage
auszuziehen, bis die vordere Schnur gespannt ist. Ein Pfund per Quadratfuss gilt als entsprechende Grenze.
Die auf dem Blue Hill zur Zeit angewendete Bucht ist auf Fig. 57 nach einer handschriftlichen Skizze
dargestellt, die ich Herrn Itotcli verdanke. Die Schnüre Mi, M 3 , A3 bestehen zum Theil aus Kautschuk
und dehnen sich bei zunehmendem Winddrucke aus, wodurch die Spannung mehr und mehr von der un
elastischen Schnur B übernommen wird und der Drache sich flach legt.
Die Bucht des Marvin’schen, auf den Stationen des Weatlier Bureau eingeführten Drachens ist auf
Fig. 58 dargestellt. A ist der vordere Hand des Drachens, AC das überstehende Stück des Mittelstocks, an
dessen vorderem Ende derjenige Zweig der Bucht befestigt ist (B'C), an dem der Drache in starken Winden
nach Zerreissen der „Safety line“ S fliegt. Letztere ist ein dünner Stahldraht, der bei ca. 38 kg Spannung
reisst, lange bevor der Druck des Windes für den Drachen oder die FTauptlcinc gefährlich wird. Dann legt
sich der Drache unter so geringem Winkel zum Winde, dass der Druck reduzirt wird und auch bei weiterem
Anwachsen des Windes kaum zunimmt. Dafür aber fliegt nun der Drache unter geringerem Höhenwinkel,
so dass nach dem Urtheil der amerikanischen Beobachter ein guter Aufstieg danach unmöglich wird.* **) ) Da
an dem Drachen dieser Art, der sich im Besitz der Seewarte befindet, der Sicherheitsdraht bei den ersten
vier Aufstiegen schon bei massigem Winde gleich im Beginn gerissen ist,*) so habe ich die Leine AB durch
eine Kautschukschnur ersetzt. Der Erfolg ist durchaus befriedigend. Der Draht S kann unter diesen Um
ständen entbehrt werden, doch habe ich. ihn zunächst viele Monate lang an seiner Stelle gelassen. Nach
dem Einsetzen der Kautschukschnur ist der Draht S bei keinem Aufstiege mehr gebrochen — ein Beweis,
wie sehr die Spannung in diesem Zweige der Bucht durch die Elastizität der Schnur vermindert ist,j)
Ein vortreffliches Mittel, um den Einfluss der Fesselung auf den Flug und den Zug des Drachens zu
studiren, ist, den Drachen an zwei Leinen fliegen zu lassen, deren eine an das Kopf-, die andere an das
Schwanzende geht, und diese zweite Leine abwechselnd nachzulassen und stramm zu ziehen. Schaltet man
in die Kopfleine eine Federwage ein, so sieht man, wie die Spannung dieser Leine, sobald man die Schwanz
leine nachlässt und der Drache sich flach legt, auf */'3 oder '/4 des Werthes sinkt, den sie bei gespannter
Schwanzleine hat, und nicht viel mehr als das Gewicht des Drachens beträgt, während zugleich der Höhen
winkel des Drachens, hei einer Schnur von etwa 150 m Länge, von 50—60° auf 20 — 30° abnimmt. Dennoch
schwebt der Drache in dieser neuen Gleichgewichtslage.
Auf Grund dieser Erfahrungen habe ich sie seit 1900 bei Hargrave-Drachen fast stets angewendet.
Auch bei meinem neuen Treppen-Drachen habe ich, nachdem er bei den ersten Versuchen zweimal den
Draht zerrissen hatte, den unteren Zweig der Bucht elastisch gemacht.
Es dürfte keine besondere Schwierigkeit haben, die Bucht für den Abstieg des Drachens flacher ein
zustellen, als für den Aufstieg, und so den beim letzteren zu überwindenden Druck wesentlich zu verringern,
*) Vergl. Proceedings of tbe Convention of Weatlier Bureau Offieials at Omaha, Oct. 1S9S, p. 115.
**) Dem Drachen waren eine Anzahl Reservedrähte dieser Art ans Washington mitgegeben.
f) Damit nicht schon bei massigem Winde durch die Ausdehnung der Gummischnur der Einfallswinkel verringert
wird, sondern die Drachenfläche bei solchen voll ausgenutzt wird, habe ich manchmal bei schwachem Winde A und B' ausser
dem durch einen unelastischen Faden verbunden, der bei ca. 25 kg Zug reisst, und da Marvin für schwachen Wind eine Zu
rückziehung des Punktes B um ca. 15 cm nach dem Hinterende des Drachens, durch einen Bucht-Zweig nach dem Hinterrande
der Vorderzelle, empfiehlt, so kann man denselben Faden auch weiter nach diesem Punkte führen. Die erste Hebung des
Drachens vom Erdboden geschieht dann, w r enn der Wind unten schwach oder massig ist, unter möglichst günstigen Bedingun
gen, trifft aber der Drache stärkeren Wind, so tritt durch Zerreissen des Fadens die elastische Bucht in Thätigkeit.