W. Koppen: Erforschung der freien Atmosphäre mit Hülfe von Drachen.
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Entscheidung gänzlich auf den Versuch im grossen, im wechselnden Winde angewiesen, der immer wieder
neue Räthsel bringt.
Einen wesentlichen Fortschritt in dieser Hinsicht bringen die Versuche von Herrn Dr. F. Ahlborn
(Hamburg), über die er auf der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg im letzten
September berichtet hat. Freilich können diese nur durch eine Reihe von Analogieschlüssen auf die Drachen
angewandt werden und geben sie über einen der entscheidenden Punkte — die Stabilität — noch keine
Auskunft. Allein diese Analogieen sind anderweitig gut gestützt, die Befunde werden wahrscheinlich auch
zur Beurtheilung der Stabilität Anhaltspunkte ergeben und das Ganze ist als erster Schritt auf einem viel
versprechenden Wege anzusehen.
Herr Ahlborn hat zunächst mit Hülfe der Photographie die Bewegung der Flüssigkeitstheilchen in der
Umgebung einer bewegten schrägen Platte untersucht. Eine Reihe von Versuchen hat ergeben, dass deren
Bewegung um eine vollständig untergetauchte Platte im wesentlichen ebenso erfolgt, wie diejenige an der
Oberfläche der Flüssigkeit um eine nur theilweise eingetauchte Platte. Es kann daher das einfachere und
klarere Bild der letzteren an Stelle des durch die hinzutretende dritte Dimension minder klaren Bildes der
Bewegungen im Innern der Flüssigkeit treten. Hieraus dürfen wir aber ferner schliessen, dass auch die
Druckvertheilung in der Umgebung der bewegten Platte an der Oberfläche im wesentlichen dieselbe ist, wie
in einem entsprechenden Längsschnitt an einer allseitig von Flüssigkeit umgebenen Platte. Erstere offen
bart sich uns aber in einfacher Weise durch das Niveau. Der Aufstau des Wassers vor der halb ein-
getaucliten Platte und die Depression hinter derselben belehren uns also auch über die Druckverhältnisse
in der Umgebung einer vollständig untergetauchten bewegten schrägen Platte. Die weitgehende geometrische
Aehnlichkeit der Bewegungen in Flüssigkeiten und in Gasen, wie sie sich z. B. in der vollkommenen Ueber-
einstimmung der von Oberbeck im Wasser und von Vettin in Luft (Tabaksrauch) studirten Wirbelringe zeigt,
gestattet schliesslich diese an der Wasseroberfläche gewonnenen Diagramme über den Stau und die Saugung
auch auf die Druckvertheilung an der Vorder- und Rückseite eines in der Luft fliegenden Drachens anzu
wenden. Die Quantitäten werden natürlich durch die Unterschiede in der Dichtigkeit ganz andere; zur
ersten Orientirung genügt es aber, durch passend gewählte geringere Geschwindigkeiten im dichteren Medium
sich die Natur der Erscheinung vor Augen zu führen.
Parallel mit den photographischen Aufnahmen der Wasserbewegung hat Herr Dr. Ahlborn auch
die Vertheilung des Druckes auf bewegten schrägen Platten untersucht durch Feststellung der Benetzungs
höhen an deren Vor- und Hinterfläche. Auch liier gestatten dieselben Aehnliclikeiten, aus diesen leicht fest
stellbaren Stau- und Saugephänomenen der Oberfläche auf die Druckphänomene im Innern einer Flüssigkeit
in der Umgebung einer bewegten Platte zu urtheilen.
Die Versuche des Herrn Ahlborn sind mit einem sinnreich konstruirten Apparat gewonnen, in welchem
die betr. Platten mit gleichförmiger bekannter Geschwindigkeit durch einen Elektromotor fortbewegt wurden.
Diejenigen über die Druckvertheilung habe ich, in direkter Anlehnung an die Probleme des Drachenfluges,
in sehr vereinfachter Anordnung weitergeführt ; die Ergebnisse dieser Versuche sind im Anhang 2 zu diesem
Bericht dargelegt. Von Herrn Dr. Ahlborn’s photographischen Aufnahmen der Strömungslinien dagegen
bin ich durch dessen Freundlichkeit in der Lage, zwei in Lichtdruckbildern Ia und Ib den Lesern vorzu
legen; dieselben mögen wenigstens die Art und den hohen Werth dieser Bilder veranschaulichen; weitere
Bilder wird jedenfalls der in Aussicht stehende grössere Bei’icht des Herrn Dr. Ahlborn bringen; bisher ist
erst eine kurze Wiedergabe seines Vortrags vom 26. Sept. 1901 mit zwei Photogrammen in der „Physikal.
Zeitschrift“, Jahrgang III, S. 120 — 124, erschienen.
Fig. Ia stellt die Strömungen in der Umgebung einer unter einem Winkel von 18° durchs Wasser ge
zogenen Platte dar. Dass in diesen Versuchen die Platte und nicht die Flüssigkeit bewegt wurde, bedarf,
da es sich ja nur um die relative Bewegung beider gegen einander handelt, keiner Rechtfertigung. Wir
sehen in der Umgebung der Platte bis auf beträchtliche Entfernung hin die Stromlinien von ihrer parallelen
Anfangsrichtung abgelenkt, und zwar vor der Platte divergirend, was einer Druckzunahme entspricht, in
einigem Abstand über und unter der Platte, so wie weiter hinter ihr, konvergirend, einer Druckabnahme
entsprechend; besonders aber springen die Wirbel ins Auge, die auf der Rückseite der Platte als lange
Schleppe sich hinziehen. Zum leichteren Verständniss derselben, sowie zur Kontrole über das Maass der
zufälligen Abweichungen bei verschiedenen Versuchen giebt Fig. 11, Tafel 1, ein schematisches Bild der
analogen Wirbel aus einem anderen Versuch, bei dem der Einfallswinkel der Platte nahezu derselbe war.