\V. Koppen: Erforschung der freien Atmosphäre mit Hülfe von Drachen.
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stiege bis 3000 m braucht man etwa eine ganze, wenn nicht das Niederholen unerwünscht langsam ge
schehen soll. Bei der wechselvollen Natur des Windes muss man natürlich gerüstet sein, zeitweise auch
grössere Leistungen ausüben zu können. Nur um einen ungefähren Anhalt zur Beurtheilung der Aufgabe
und der erforderliehen Mittel zu ihrer Lösung zu liefern sind die obigen Berechnungen gegeben.
Vertikale Vertheilung der Windgeschwindigkeit und praktische Folgerungen daraus.
Unter Windgeschwindigkeit ist hier die Geschwindigkeit des Luftstroms am Drachen verstanden. Ueber das
Verhältniss derselben zu der von fest aufgestellten Anemometern gemessenen Windgeschwindigkeit giebt leider
wiederum das vorliegende Material nur ziemlich dürftige Anhaltspunkte. Sicher ist, dass die Windgeschwin
digkeit durchschnittlich nach oben zunimmt, in der Nähe des Erdbodens rasch, weiter oben beträchtlich
langsamer; die Aufstellung des Anemometers selbst ist daher von grossem Einfluss auf seine Angaben. So
hat z. B. das Anemometer auf dem Drachenplatze der Seewarte in 2 m Höhe über dem Boden durchschnitt
lich nur 2 /* derjenigen Windgeschwindigkeit ergeben, die gleichzeitig dasjenige auf dem Thurrne des See-
warten-Gebäudes, 28 m über dem Boden und in freierer Lage am Elbufer aufgezeichnet hat. Aber sogar
über dem so sehr freien Standorte des Anemometers auf dem Thurrne des Observatoriums in Potsdam ist
die Zunahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe so bedeutend, dass nach dem grossen Ballonwerk*)
die Geschwindigkeit bei den Berliner Luftfahrten in 500 m 1 3 / 4 mal so gross war, wie die in Potsdam ge
messene. Erst die noch erheblich freiere Lage des Blue Hill-Gipfels ergiebt eine grössere Annäherung an
die Windgeschwindigkeit der freien Atmosphäre: so war z. B. im Mittel von 10 Drachenaufstiegen nachdem
ersten Bericht**) die mittlere Geschwindigkeit am Observatorium 7.7 m, in 250 m Höhe 8.5 m und in durch
schnittlich 800 m Höhe über dem Boden 9.8 m.
Auf S. 206 des erwähnten Werkes fasst Herr Berson die Resultate von 75 wissenschaftlichen Ballon
fahrten bei Berlin folgendermaassen zusammen.
Relative Windgeschwindigkeit (Tagesmittel an der Erdoberfläche = 1 gesetzt):
i
' 1
0
500
1000
1500
2000
2500
3000
4000
Höhenschicht
bis
bis
bis
bis
bis
bis
bis
bis
über
500
1000
1500
2000
2500
3000
4000
5000
5000
Quotient der Geschwindigkeit (korr.).
1.7
1.8
1.9
2.0
2.1
2.2
2.5
3.1
4.5
Zahl der Fälle
54
54
55
49
41
38
36
19
10
„Aus dieser Zusammenstellung, welche einen sehr regelmässigen Gang aufweist, gewinnt man die nach
stehenden Gesichtspunkte:
1) Die Windgeschwindigkeit nimmt alsbald nach dem Verlassen der Erde in den untersten 500 m er
heblich zu.
2) Das weitere Wachsthum scheint besonders zwischen 500 und 1500 m ein sehr geringfügiges zu sein,
d. h. also in der Hauptzone der Cum.-Bildung, welche wohl allgemeiner und kräftiger bei grossen Differenzen
der Windgeschwindigkeit in den über einander lagernden Luftschichten nicht zur Entwickelung kommen
dürfte.
3) Aber auch darüber hinaus, bis mindestens 3000 m, ist das Wachsthum ein nur wenig rascheres.
Bestehen bleibt, dass das Wachsthum der Windgeschwindigkeit innerhalb fast der ganzen, ein öfteres Vor
kommen der von uns vielfach besprochenen Störungsschichten aufweisenden Zone der hauptsächlichen Kon
densation im Mittel überraschend langsam erfolgt. Dies hängt offenbar zusammen mit dem so häufigen
Auftreten der Windänderungen und -Drehungen in diesen Störungszonen, wo dann oft zwischen den ver
schiedenartigen Luftströmungen der Wind sehr abflaut, gelegentlich fast zur Windstille.
4) Von 3000 —4000 m an beginnt rapide Zunahme; sie erreicht jetzt auf 1000 m etwa denselben Be
trag, wie darunter auf 3000 (abgesehen von dem Sprung in den erdnächsten Schichten).“
Nach diesen Zahlen nimmt die Windgeschwindigkeit durchschnittlich von 250 oder 300 m bis zu 3000 m
nur im Verhältniss von 1.7 : 2.3 oder von 3 : 4 zu; in demselben Verhältniss nimmt aber der Barometerstand,
also die Luftdichte, ab, etwa von 738 auf 523; ändert sich, der eben gegebenen Formel gemäss, der Druck
auf Hargrave-Drachen mit elastischer Bucht bei gleicher Luftdichte nur der ersten Potenz der Wind
geschwindigkeit gemäss, so ist also zwischen 300 und 3000 m eben so oft auf Abnahme wie auf Zunahme
des Winddrucks auf die Drachen zu rechnen, und im ganzen auf keine bedeutende Aenderung.
*) Assmann und ßerson: Wissenschaftliche Luftfahrten, Bd. III, S. 205.
**) Exploration of the air by means of kites. Annals Astr. Obs. Harvard Coli. XLII, I, S. GS ff.