W. Koppen: Erforschung der freien Atmosphäre mit Hülfe von Drachen.
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zur Beurtheilung der Wetterlage und also auch zur Wetterprognose nur allmählich erlernt werden wird.
Dass dem Studium der freien Atmosphäre in der Meteorologie und in der Wetterprognose die Zukunft ge
hört, daran kann trotz aller gelegentlichen Rückschläge und Enttäuschungen kein Zweifel sein.
2. Abschnitt.
Stellung der Aufgabe. Zusammenhang zwischen Höhe und Steigwinkel,
Zug, Windgeschwindigkeit u. s. w.
Die Kettenlinie. Die Aufgabe der Drachen in der Meteorologie ist stets die Erreichung einer ge
wissen, meistens einer möglichst bedeutenden Höhe über dem Boden. Die gleichzeitige Abtrift in horizontaler
Richtung, die für einige andere Zwecke, z. B. im Rettungswesen zur See, werthvoll ist, hat bei meteorolo
gischen Drachen nur die Bedeutung einer unerwünschten Nebenerscheinung, die man möglichst zu verringern
trachten muss.
Im klebrigen kann die Leistung der Drachen für die Meteorologie verschieden sein, je nachdem sie
allein sich selbst heben oder Instrumente emportragen sollen. Das erstere ist z. B. der Fall, wenn mittels
Drachen die Höhe der unteren Wolken oder die Windrichtung verschiedener Höhenschichten bestimmt werden
soll. In der Regel aber haben die Drachen ausser ihrem eigenen Gewicht als „Nutzlast“ ein Instrument
in die Höhe zu tragen.
Ein Drache ist, in aeronautischer Hinsicht, ein Körper, der spezifisch schwerer als die Luft ist, aber
durch die Umsetzung des horizontalen Drucks des Windes auf einer oder mehreren schiefen Ebenen schwebend
erhalten wird, so lange er durch eine oder mehrere Leinen*) an der Erdoberfläche festgehalten und ver
hindert wird, sich mit der Luft fortzubewegen.
Die Drachenleine ist also für den Begriff des Drachens wesentlich.**) Durch die Kraft des Windes
wird sie emporgetragen und gespannt. Das Gewicht der Drachenleine und der Druck des Windes auf die
selbe sind es, die einem normalen Drachenaufstieg seine Höhengrenze setzen. Die an ihrem oberen Ende
schräg nach oben gezogene Leine bildet, indem ihr Neigungswinkel mit dem Horizont abwärts mehr und
mehr abnimmt, infolge ihres Gewichts eine Kurve, die zwar durch den Druck des Windes auf den Draht in
einer noch nicht näher untersuchten Weise beeinflusst wird, aber in der Hauptsache, namentlich bei Stahl
draht, als Stück einer mathematischen Kettenlinie betrachtet werden kann.
Bezeichnen wir (Taf. 1, Fig. 2) mit A den das Instrument tragenden Theil eines einfachen Drachensystems,
also den oder die an der Spitze befindlichen Drachen usw., einschliesslich des Instrumentes selbst, mit B die
unter der Grenze oo befindliche Leine, bezw. den Draht, so übt A auf B einen Zug aus von der Stärke t und
unter einem Winkel 0 gegen den Horizont. Ein Theil dieses Zuges trägt das Gewicht des Drahtes B: ein
anderer Theil überträgt sich auf den Haspel C unter einem Winkel 0' gegen den Horizont. Die vertikale
Komponente dieses Zuges, der Hub des Drachens oder Drachen-Gespanns A, ist sein nützlicher Theil, der
zum Tragen des Gewichts der Leine dient; die horizontale Komponente von t oder die Abtrift der Drachen
ist dagegen (wenigstens bei der meteorologischen Yerwerthung der Drachen) nur schädlich, da sie die Gefahr
des Abreissens erhöht, also schwerere Leine nöthig macht, und zugleich die Arbeit des Einholens vergrössert.
Die Güte eines Drachens besteht darin
a) den Zug nach Richtung und Kraft möglichst gleichmässig zu machen und
b) einen möglichst grossen Prozentantheil des Zuges als Hub zu gestalten.
Aus den Eigenschaften der Kettenlinie ergeben sich nach Marvin einige praktisch wichtige Folgerungen.
Sei MO, Fig. 3, eine Kettenlinie, deren Winkel mit dem Horizont 0 Null, in A aber 0 ist. Denken wir
uns in A den Drachen, so wird, weil man aus praktischen Gründen den Steigwinkel des Drachens nicht bis
auf Null sinken lässt, der Ort des Haspels nicht in 0, sondern höher, etwa bei B zu suchen sein, wo dieser
Winkel 0' beträgt. Die Theorie ergiebt nun — vorausgesetzt, dass die schwere Linie AB überall das gleiche
*) Unter Leine ist hier stets, ohne Rücksicht auf den Stoff, der Draht, das Kabel oder die Hanf-, Ramie-, oder
SeidenSchnur verstanden, die den Drachen an die Erde fesselt.
**) Verliert er die Leine, so wird der „Drache“ zum „Drachenflieger.“