W. Koppen: Erforschung der freien Atmosphäre mit Hülfe von Drachen.
Laut. Wie bedeutend die Dimensionen dieses Unternehmens sind, erkennt man schon daraus, dass an ein
maligen Ausgaben für die erste Einrichtung 50000 Jlt bewilligt waren und dass der Thurm 7500, die Winde
ausserdem ca. 4000Mark gekostet haben; weitere grosse Nachbewilligungen standen in Aussicht.
Diese grosse Anlage ist von vornherein nicht auf Drachen allein, sondern auch auf den schon erwähnten
von den Herren v. Siegsfeld und v. Parseval erfundenen Drachenballon berechnet, der bei schwachem Winde
die Drachen ersetzen soll. Der Plan, beide Vehikel gleichzeitig an derselben Leine hinaufzulassen, scheint
bis jetzt nur ausnahmsweise zur Ausführung gekommen zu sein und verspricht auch wohl kaum grosse Er
folge für die Zukunft; dass aber bei der geringeren mittleren Windstärke im Binnenlande viele Wetterlagen
für einen Betrieb mit Drachen ausgeschlossen sind, wenn nicht wenigstens für die untersten Luftschichten
Ballonhülfe in einer oder der anderen Form hinzugezogen werden kann, unterliegt keinem Zweifel.
Ausser Drachen und Drachenballons gehören auch, Avie in Trappes, Begistrirballons zum Studium der
höchsten Luftschichten in das Programm des Berliner Aeronautischen Observatoriums, eine Technik, die ja
ebenfalls bereits höchst interessante Resultate ergeben hat und weitere zu geben verspricht. Der erste
solche unbemannte „ballon sonde“ mit Meteorograph wurde bekanntlich am 21. März 1898 von Hermite
und Besançon bei Paris aufgelassen. Im Sommer 1894 begannen die entsprechenden Ballonflüge vom
Berliner Verein zur Förderung der Luftschiffahrt, deren einer, am 27. April 1895, den Registrirapparat bis
zur erstaunlichen Höhe von 21800 m brachte.
Drachen zum Heben von Menschen. Bevor wir uns den meteorologischen Draclienversucheu der
Seewarte zuwenden, Avollen wir einen kurzen Blick noch auf eine andere Anwendung der Drachen werfen,
die ebenfalls in den letzten Jahren in Angriff genommen worden ist.
Die Verwendung der Drachen zum Lieben von Menschen ist in den letzten Jahren von militärischer
Seite in England und Russland zu ziemlich befriedigenden Ergebnissen ausgebildet worden. Von den Ver
suchen in Russland, die von den Abtheilungen der Luftschiftertruppe in Petersburg und in Polen ausgingen,
ist Avenig an die Oeffentlichkeit gelangt; doch sind im Herbst 1898 auf der Russischen Naturforscher-Ver
sammlung in Kiyef, neben den A'on Herrn Kuznetsof vorgeführten meteorologischen Drachen des Central-
Observatoriums, auch grosse Drachen des Luftschiffer-Parks in Tlnltigkeit gewesen, mit denen die Theil-
nelimer sich in einem Korbe um mehrere Faden über den Boden heben lassen konnten. Nach freundlicher
brieflicher Auskunft von Herrn Kuznetsof geschah dies unter der Leitung des Herrn Li eut. Uly an in aus
Warschau mit Hülfe von nur zAvei enormen Hargrave - Drachen von 40 und (50 qm Tragfläche. Nach der
Darstellung in der russischen meteorologischen Zeitschrift (Met. Viéstnik, Sept. 1898, S. 402) dagegen geschah
die Hebung der Personen durch ein Gespann von fünf der gewöhnlichen, den englischen nachgebildeten,
sechseckigen Drachen des St. Petersburger Luftschiffer-Parks, jeder zu 10 qm Oberfläche. Es scheint also
beides abwechselnd geschehen zu sein.
Genauere Aufschlüsse liegen über die Versuche in England vor durch mehrere Berichte des Haupt
manns, jetzt Obersten, B. Baden-Powell, der diese Versuche unternommen und mit einem grossen Auf-
Avand von Zeit und Mühe zu einem befriedigenden Ergebniss geführt hat, und zwar nach mehr als zehn
jährigen geduldigen Bemühungen, die er kurz und humorvoll in einem Vortrage vor der „Aeronautical
Society“ in London geschildert hat.*) Im Laufe derselben war er im Jahre 1894 zum Bau eines Drachens
von Ilm Länge gelangt, hat aber später A r orgezogen, mehrere hintereinander gespannte Drachen von ca.
3‘/2 m Länge und ca. 12 qm Fläche zu verwenden; A'ier oder fünf solche Drachen genügen, um einen Mann
zu heben. Herr Baden-PoAvell verwendet ausschliesslich einflächige Drachen. Die Form, auf der er nach
langem Experimentiren stehen geblieben ist, ein Sechseck, findet man im 4. Abschnitt dieses Berichts dar
gestellt, Avälirend im 7. auf seine Averthvolle Instruktion zur Behandlung der Drachen näher eingegangen
Averden soll.
Die Drachenstation der Seewarte. Meine eigenen Versuche begannen im Juli 1898, nachdem
mein dahingehender Antrag von der Direktion der Seewarte genehmigt und mir 600 M. für dieseu Zweck
zur Verfügung gestellt worden Avaren, mit dem Bau einiger Malay- und eines Hargrave-Drachens und der
Forst in der Lausitz aufgefunden. Leider kam bei diesem höchst interessanten Aufstieg auch ein Knabe durch den nach
schleppenden Draht zu Schaden, Avas zur Folge hatte, dass der Veranstaltung weiterer Aufstiege auf dem Observatorium
ausserordentliche Beschränkungen auferlegt Avurden. In den Sommern 1900 und 1901 Avar es mir vergönnt, das Observatorium
Aviederholt zu besuchen und seine Einrichtungen durch mehrtägigen Aufenthalt genau kennen zu lernen.
*) The Aeronautical Journal, January 1899.