Archiv 1900. 0-
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No. e.
Die meteorologischen Ursachen der Hochwasser-Katastrophen
in den mitteleuropäischen Gebirgsländern.
Vortrag vor den Abtheilnngen für Geographie und für Meteorologie der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte
zu München 1S99,
gehalten von Wilhelm Krebs (Barr).
Die Gebirgshochwasser des September 1899, die infolge der grossen Brückeneinstürze im Isargebiet
sehr eindrucksvolle Spuren binterlassen haben, besassen eine ungewöhnlich grosse Ausdehnung im deutsch-
österreichischen Binuenlande. Sie zeigten aber wieder den seit 1888 an ähnlichen Gehirgshochwassern be
obachteten Zusammenhang mit einer Depression des Luftdrucks über dem südöstlichen Mitteleuropa. Diese
ist im Folgenden als typische Depression bezeichnet.
Am 12. und 13. September 1899 verharrte ihr Minimum zwischen Breslau und Krakau ungefähr an
derselben Stelle (Karten 4 u. 5). Diesem Stillstände entsprach das Anhalten schwerer Niederschläge an jenen
beiden Tagen. Auf Station München wurde am Morgen des 13. September eine Itegenhöhe von 95, am
Morgen des 14. September eine liegenhöhe von 74 Millimetern gemessen, nachdem vom 8. bis 12. September
schon 87 Millimeter gesammelt waren. Auf Station Chemnitz wurden an den beiden Haupttagen 5<> Milli
meter, an den 5 vorhergehenden Tagen 42 Millimeter, auf Station Breslau am 13. und 14. September zu
sammen 32, vom 9. bis 12. September 20 Millimeter gemessen. Diese den Wetterberichten der Seewarte ent
nommenen Werthe können aber nur als Signale der eingetretenen Hochwassergefahr gelten. Die ausschlag
gebenden Niederschlagsmengen fallen in höheren Gebirgslagen und müssen auf einen mehrfachen Betrag ge
schätzt werden.’)
Die Langsamkeit, mit der sich Hochwasserdepressionen bewegen, ist gelegentlich älterer Untersuchungen
schon aufgefallen. 2 ) Von Hellmann 3 ) und von Kassner 4 ) wurde ausschliesslicher Werth auf Ort und
Richtung gelegt. Ein schlagendes Beispiel dafür bietet die über zwanzig Jahre (187(> bis 1895) ausgedehnte
Untersuchung Iiassner’s, welche darauf ausging, aus einer Statistik solcher Depressionen — „VB-Depressionen“,
wie sie nach der gleichnamigen Zugstrasse van Bebber’s von Kassner auch bezeichnet werden — eine
Grundlage für die von Keller 5 ) angeregten Hochwasserwarnungen zu finden. Diese Statistik lieferte für
jene zwanzig Jahre nicht weniger als 224 typisch sein sollende Depressionen, eine Anzahl, mit der die An
zahl der Hochwasser glücklicherweise ganz ausser Vergleich steht. Hellmann und Kassner mussten dem
zufolge darauf verzichten, auf dem rein statistischen Wege eine Grundlage für Hochwasserwarnungen zu
finden.
Die VB-Depressionen Kassners zeigen für das deutsche Binnenland nichts weiter an als das anfäng
liche Auftreten ozeanischer Luftströmungen aus dem nordwestlichen Quadranten. Bei der im allgemeinen
diesen Strömungen gleichgerichteten Steigung des mitteleuropäischen Gebiets müssen von ihnen Niederschläge
besonders an den Nordabhängen der Gebirge veranlasst werden. Aber erst der Stillstand einzelner solcher
Depressionen bringt einen ersten Grund dafür hei, dass jene Niederschläge ungewöhnlich stark sind.
In unmittelbarer Folge der sächsischen und schlesischen Hochwasser von Ende Juli 1887 wurde die
statistische Nachforschung vertieft durch physikalisch-meteorologische Untersuchung. Durch diese wurde
nicht allein ein Einblick in den inneren Zusammenhang des für Hochwasser-Depressionen maassgebenden
Stillstandes, sondern auch ein neuer Grund für ihre spezifische Wirksamkeit erschlossen.
Es handelte sich um zwei Erklärungsversuche für das Zustandekommen typischer Depressionen. Beide
Versuche kamen auf die Grundanschauung einer durch Interferenz veranlassten Summation hinaus. Der eine