Prof. Dr. W. J. van Bebber: Wissenschaftliche Grundlage einer Wettervorhersage etc. 25
Archiv 1399. 5.
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Bei der zweiten Art von Wettervorhersagen handelt es sich darum, den muthmaasslichen Witterungs
charakter auf grössere Zeitabschnitte, etwa Monate, Jahreszeiten und Jahre voraus anzugeben, ein Problem,
welches schon seit vielen Jahren in Angriff genommen wurde. Es galt hier hauptsächlich, Gesetzmässigkeiten
in der Aufeinanderfolge und dem Wechsel längerer Zeiträume mit gleichem oder doch ähnlichem Witterungs
charakter nachzuweisen und dass dieses auch wirklich gelungen ist, dürfte aus den ausgezeichneten Arbeiten
von Hellmann zur Genüge hervorgehen. Dann suchte man Beziehungen der Eisverhältnisse (Eisberge) des
nordatlantischen Ozeans auf zu dem kommenden Witterungsverlauf in unseren Gegenden oder die Einflüsse
der Verhältnisse des atlantischen Ozeans (Golfstrom) zu unserem kommenden Wetter. Alle diese Bemühun
gen sind gewiss in hohem Maasse anerkennenswerth, sie finden unser regstes Interesse und unsere volle Be
achtung, indessen sind die Ergebnisse zu wenig geklärt oder der Zusammenhang ist noch zu lose, als dass
sie die Grundlage für eine brauchbare Wettervorhersage abgeben könnten.
Die dritte Art der Wettervorhersage, nämlich diejenige auf mehrere Tage voraus, ist bisher in der
Praxis noch nicht zur Anwendung gekommen und doch würde diese den Bedürfnissen der Landwirthschaft
gegenwärtig wohl am meisten entsprechen. Mit fortschreitender Erfahrung bin ich zu der Ueberzeugung
gekommen, dass es nicht nur möglich, sondern geradezu geboten erscheint, zur Wetterprognose auf mehrere
Tage voraus überzugehen. Die Grundlage einer solchen Wettervorhersage habe ich bei verschiedenen Ge
legenheiten zur Genüge dargelegt;*) in der gegenwärtigen Arbeit sind dieselben Ziele verfolgt und die Er
gebnisse der Untersuchungen auf Grundlage eines 20jährigen Beobachtungsmaterials ziffernmässig dargelegt.
Der Unterschied zwischen der obengenannten dritten und der ersten Art von Wettervorhersagen liegt
hauptsächlich darin, dass bei der von mir vorgeschlagenen Methode zwar auf die veränderlichen und leicht
beweglichen Depressionen die gebührende Rücksicht genommen wird, aber in erster Iiuie die mehr bestän
digen Hochdruckgebiete in Betracht gezogen werden, die ja dem Wetter unserer Gegenden für mehrere Tage,
ja für Wochen und Monate einen bestimmten Charakter aufdrücken.
Aus den vorhergehenden Darstellungen geht zweifellos hervor, dass jedem Wettertypus eigenartige
Witterungserscheinungen zukommen, welche je nach den Jahreszeiten verschieden sind und dass die Wetter
typen eine ziemlich grosse Erhaltungstendenz besitzen. Wären wir nun in der Lage, mit genügender Zu
verlässigkeit die Umwandlungen der einen Wetterlage in die andere vorauszusehen, so wäre die Wettervor
hersage auf mehrere Tage voraus gegeben. Um nun aber eine solche Beurtheilung vornehmen zu können,
ist es vor allem nöthig, dass man die jeweilige Wetterlage über Europa kennt und die Aenderungen verfolgt,
welche sich in der Wetterlage vollziehen. Das Material hierzu geben die von den meteorologischen Instituten
und von grösseren Zeitungen täglich herausgegebenen Wetterkarten und dann die tabellarischen Wetter
berichte, welche von zahlreichen Zeitungen veröffentlicht werden und zur Konstruktion von Wetterkarten
benutzt werden können. Indessen dürften die bisherigen Zeitungswetterkarten nur wenig unseren Zwecken
entsprechen, zumal sie erst sehr verspätet zu Händen des dabei interessirten Publikums gelangen; die
Wettertabellen, die ebenfalls verspätet ankommen, zur Konstruktion von Wetterkarten zu benutzen, darf dem
grossen Publikum wohl kaum zugemuthet werden. Andererseits sind die von den meteorologischen Instituten
herausgegebenen umfassenden Wetterkarten zu theuer, als dass sie eine allgemeine Verbreitung finden könn
ten; auch erscheinen dieselben meistens viel zu spät.
Die geplante Umwandlung der Wettertelegraphie kann und wird — das dürfen wir zuversichtlich hoffen —
allen Wünschen, soweit es irgendwie thunlich ist, entsprechen. Durch sie wird es ermöglicht werden, dass
die Wetternachrichten aus den wichtigeren Ländern Europas schon etwa 1 '/a Stunden nach der Beobachtung
(also morgens zwischen 9 und 10 Uhr) an alle wichtigeren Städte Deutschlands gelangt sind, dass an allen
wichtigeren Orten je nach Bedürfniss Wetterkarten angefertigt werden, welche noch am Vormittage zur Ver
ausgabung kommen. Diese Wetterkarten müssten eine rasche allseitige Verbreitung finden und zu diesem
Zwecke unentgeltlich oder höchstens nur gegen Portovergütung (wie es in den Niederlanden geschieht)
abgegeben werden. Die Tageswettervorhersagen könnten zunächst noch bleiben, würden aber nach und nach
überflüssig werden.
*) Vergl. „Das Wetter 1 *, Jahrg. 1S97: „Annalen der Hydrographie etc.-, Jahrg. 1S97; „Die Wettervorhersage 1 *, 1S9S,
bei Enke, Stuttgart; „Die Rundschau 1 *, Jahrg. 1S98; „Mutter Erde", Jahrg. 189S; in meiner Schrift „Die Beurtheilung des
Wetters auf mehrere Tage voraus", hei Enke, Stuttgart, 1S96 (die ¿.Auflage erscheint in allernächster Zeit). Vergl. auch
Verhandlungen des Deutschen Landwirthschaftsrathes 1899, XXVII. Plenarsitzung.