Archiv 1S99- b»
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No. 5,
Wissenschaftliche Grundlage einer Wettervorhersage
auf mehrere Tage voraus.*)
Von Prof. Dr. W. J. van Hebber.
Im Jahre 1897 habe ich im ..Wetter“**) die Hauptwetterlagen oder die Hauptwettertypen in Europa
ausführlich besprochen und zwar in der doppelten Absicht, erstens, um eine allgemeinere Verbreitung des
Verständnisses der Witterungserscheinungen in unseren Gegenden auf Grundlage der täglichen synoptischen
Wetterkarten anzubahnen und zweitens, um dem grossen Publikum eine Anleitung zur Beurtheilung der je
weiligen und der zu erwartenden Witterung in gemeinverständlicher Darstellung zu geben, so dass Jeder in
Stand gesetzt würde, einen grösseren Nutzen als bisher aus dem von den meteorologischen Instituten und
dem von den Zeitungen täglich veröffentlichten Material sich zu verschaffen. Es handelte sich darum, mehr
oder weniger neue Gesichtspunkte für die Wettervorhersage zu schaffen, diese auf eine breitere Grundlage
zu stellen und ihr eine allgemeinere Verbreitung zu gehen. Hieraus ergab sich für die Bearbeitung ein
doppelter Gesichtspunkt: zunächst galt es, dem Fachmeteorologen die neue Methode wissenschaftlich zu
begründen und darzuthun, auf welche Weise diese sich praktisch und mit Erfolg verwerthen lässt, dann aber
auch die Grundlehren der ausübenden Witterungskunde in einfacher verständlicher Form zu entwickeln und
an die Wettervorhersage anzulehnen, und so das Publikum zu einem selbständigen begründeten Urtheil über
den Verlauf der Witterungserscheinungen zu befähigen.
Soll aber die Wettervorhersage bei den breiteren Schichten der Bevölkerung Eingang finden, so ist es
naturgemäss nothwendig, dass ihre Grundlage sowie ihre Anwendung einfach sind und leicht dem Gedächt
nisse eingeprägt werden können, wobei allerdings die Zuverlässigkeit und damit auch der Grad der Nutzbar
machung mit fortschreitender Hebung erhöht wird. Bisher richtete man hei Aufstellung der Wettervorher
sagen, wenn auch nicht ausschliesslich, so docli hauptsächlich das Augenmerk auf das Verhalten der baro
metrischen Minima, allein ihre leichte Beweglichkeit, ihre grosse Veränderlichkeit und die Unsicherheit in
der Fortpflanzungsrichtung mussten zu vielen unvermeidlichen Trugschlüssen führen, welche die Verwerthung
der Wettervorhersagen fast ganz in Frage stellten. Nicht so sehr die Minima an und für sich, sondern ilir
Verhalten nach Aussen hin, die Ausbuchtungen der Isobaren, die Bildungen von Theildepressionen, welche
meist mit aussergewöhnlicher Geschwindigkeit grosse Länderstrecken durcheilen, sind es, welche Wind und
Wetter in hohem Grade beeinflussen und daher die Wettervorhersage so unsicher gestalten.
*) Vergl. van Bebber: „Typische Witterungserscheinungen“ in „Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte*, Jahr
gänge V, No. 3; IX, No. 2; XV, No. 4 nnd XIX, No. 4; ferner Monatl. Uehersiclit der Witterung, Jahrg. 1880, 1881, 1882, 188.5;
„Die Wettervorhersage“, 2. Aufl., 1898, bei Enke, Stuttgart; „Beurtheilung des Wetters auf mehrere Tage voraus“, bei Enke,
Stuttgart, 1898.
**) „Das Wetter“, XIV. Jahrg. 1897, S. 121, 145, 169.