\V. Koppen: Neuere Bestimmungen über das Verhältniss zwischen der Windgeschwindigkeit etc.
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Darsserort 44, Wittower Posthaus 177, so ist es sehr wahrscheinlich, dass ein beträchtlicher Theil derselben
persönlichen Unterschieden im Schätzen zuzuschreiben ist. Diese Unterschiede werden zwar grossentheils
zufällig sein, zum Theil aber nicht. Da bei der Bildung des inneren Maassstabes für die Schätzung die
bisherige Erfahrung des Beobachters leitend ist, so muss man erwarten, dass Beobachter, die einen Theil
ihres Lehens auf hoher See und in den Winterstürmen des Nord atlantischen Ozeans verbracht haben,
durchschnittlich die Windstärke niedriger zu schätzen geneigt sind, als solche, die stets im Binnenlande
gelebt haben. Jeder Besuch der Seeküste zeigt, dass der Wind auf dem Wasser in der Hegel stärker ist,
als auf dem Lande. Ein Vergleich der absoluten Grössen der mittleren Windstärke oder gar der Sturm
häufigkeit verschiedener Stationen oder Stationsgruppen ausschliesslich nach Schätzungen kann also der
Natur der Sache nach zu keinerlei verlässlichen Ergebnissen führen, so brauchbar auch die Schätzungen
zu anderen Zwecken sind.
Zum Schluss möchte ich noch die Frage nach der Zweckmässigkeit der Beaufort’schen Skala und nach
der Art ihrer Anwendung berühren. Ich glaube, nach meiner eigenen Erfahrung, dass die Bemerkungen,
die zwei gewiegte Seeleute in der Diskussion über die letzte Arbeit von Curtis machten, sehr richtig sind
(Quart. Journ. R. Met. Soc., 1897, S. 60).
Kapt. A. Carpenter sagte, dass seihst in seinen jungen Tagen, die er überwiegend auf Kriegsschiffen
unter Segel zugebracht hat, man nie die Schätzung der Windstärke auf die Fahrt des Schiffes gründete, so
sehr hatte die Banart seit 1805 sich bereits verändert. „Thatsächlich lernen die jüngeren Offiziere von den
älteren, erfahrenen, wie der Wind sich au ihrem Gesicht und an der Oberfläche des Meeres fühlbar machen
muss, um eine bestimmte Stärke der Beauforts-Skala notiren zu lassen. Zum Beispiel zeigen sich bei zu
nehmendem Winde kleine weisse Schäfchen auf den Wellen, wenn die Stärke 4 erreicht ist, u. s. w.“
Admiral J. P. Maclear äusserte sich in ähnlichem Sinne über die Werthlosigkeit der Beaufort’schen
Definitionen in unserem Zeitalter des Dampfes und fügte hinzu: „Es ist nothwendig, irgend eine Schätzungs-
Skala für die Mehrheit der Beobachter zu haben, da nur wenige von ihnen Anemometer haben können;
ich möchte daher die Beaufort-Skala als die am besten bekannte beibehalten mit der Reihe der Ausdrücke
von „leiser Zug“ an bis „Orkan“, aber an Stelle der Bezugnahme auf Segel und die Fahrt eines Schiffes
möchte ich die Acqui valente in Windgeschwindigkeit einsetzen.“
Unzweifelhaft ist von den übrigen Schätzungsskalen der Windstärke keine einzige auch nur entfernt
so verbreitet und so gut untersucht, wie die Beaufort’sehe. Der Vorzug, den man in manchen Ländern der
10-theiligen giebt, beruht auf einer fälschen Analogie mit andern Aufgaben, wo das Decimalsystem sich von
ausserordentlichem Werthe erwiesen hat. Hier, wo keine Gliederung nach höheren und niedrigeren Ein
heiten in Betracht kommt, ist es ganz gleichgültig, ob 10, 7 oder 12 Stufen unterschieden werden.
Anders dagegen steht es mit dem Vorschlag, statt nach willkürlichen Stufen nach Metern pro Sekunde
zu schätzen. Dieser Vorschlag böte sicherlich grosse Vortheile, allein es ist zu fürchten, dass, wenn er
schon jetzt durchgeführt würde, seine Nachtheile, durch die Verwirrung, die er erzeugen würde, doch noch
grösser wären, als seine Vortheile. Das mühsam errungene bedeutende Maass von Uebereinstimmimg und
Sicherheit, das die heutigen Stärkeschätzungen besitzen, würde aufgegehen werden zu Gunsten eines theo
retisch zwar besseren, praktisch aber vielleicht höchst unbefriedigenden Zustandes. Wir müssen daher
wünschen, dass vorläufig die Beaufort-Skala überall dort, wo sie im Gebrauch ist, erhalten und thunlichst
scharf präzisirt werde und dass nur an Stelle der übrigen Stärkeskalen, die neben der Stufe 0 noch 10, 7
oder 6 Stufen umfassen, thunlichst überall entweder die Beaufort-Skala oder die geschätzte Windgeschwindig
keit in Metern pro Sekunde trete. Dann mag sich später zeigen, welche von diesen alleinigen zwei Skalen
die grössere Lebenskraft besitzt und die andere verdrängt.
Das Bedenken, welches man gegen die Skala 0—12 aus dem Umstande herleiten könnte, dass sie der
Windgeschwindigkeit nicht proportional ist, wiegt nicht schwer. Denn innerhalb der häufiger vorkommenden
Werthe 1—6 ist die Abweichung von der Proportionalität so gering, dass auch die Monatsmittel der ge
schätzten Stärke unbedenklich mit der Windgeschwindigkeit so weit in Beziehung gesetzt werden können,
als die Genauigkeit der Schätzungen dies überhaupt gestattet.