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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 189S No. 5 —
Um einen maassgebenden Vergleich zwischen Schätzung und Messung der Windstärke auszuführen,
müssen folgende Bedingungen erfüllt sein.
1. Schätzung und Messung müssen sich auf Dasselbe beziehen, d. h der Schätzende muss
denselben Wind beobachten, den das Anemometer misst. Schätzung und Messung müssen also zeitlich und
räumlich möglichst zusammenfallen. Je weniger dies der Fall ist, um so mehr ist nicht nur
a) die Möglichkeit vorhanden, dass die Werthe der einen Kategorie relativ zu hoch oder zu niedrig
liegen gegen die der andern Kategorie, — sondern es muss auch fälschlich
b) diejenige Grösse, die zu arithmetischen Mitteln verbunden wird und den Inhalt der Tabelle bildet,
weniger extreme Werthe aufweisen, als diejenige, die als Argument für die Zusammenstellung
gewählt wird.®) Es ist klar, dass wenn die Grösse B nichts mit dem Argument A zu tliun hätte,
sie hei allen Wertlien von A denselben mittleren Werth zeigen würde, vorausgesetzt dass die
Zahl der Fälle gross genug ist, um die zufälligen Abweichungen sich ausgleichen zu lassen.
Jede, auch nur geringe, Schwächung des Zusammenhangs zwischen A und B muss nach dieser
Richtung hin wirken, nämlich abstumpfend auf den Inhalt der Tabelle, also umgekehrt verschärfend
auf das Argument.
Anders liegt die Sache, wenn es sich um den Vergleich von Integralwertlien, die sich über einen Zeit
oder Raumabschnitt ausdehnen, mit zufällig aus demselben herausgegriffenen Stichproben handelt. Hier
ergiebt sich zwar nothwendig die eben besprochene Abstumpfung, wenn man diese Stichproben als Argument
benutzt und z. B. die Windwege der ganzen Stunde, in die die Beobachtung fällt, nach der Windstärke im
Moment der letzteren anordnet, wie dies gewöhnlich geschieht; denn wenn diese z. B. Windstille ergab, so ist
es nicht wahrscheinlich, dass die letztere stets während der ganzen Stunde angedauert habe, und wenn der
Beobachtungsmoment schweren Sturm ergab, so wird die Zahl der Fälle grösser sein, in denen der Rest
der Stunde unter dieser Stärke zurückblieb, als in denen dieser Best im Durchschnitt noch grössere ergab;
es wird also in diesen Fällen keine Ausgleichung der Abweichungen nach beiden Seiten stattfinden. Da
gegen fällt diese Gefahr fort, wenn wir die Integralwerthe als Argument benutzen und die zufällig heraus
gegriffenen Stichproben nach ihnen ordnen, vorausgesetzt, dass beide Grössen (hier Windgeschwindigkeit
und Schätzung) ungefähr proportional mit einander sind. Denn die Zahl der Momente während der Stunde,
iu denen sie über und unter dem Durchschnitt der Stunde lagen, wird angenähert gleich sein, und also die
Wahrscheinlichkeit, einen solchen aus der oberen oder der unteren Hälfte herauszugreifen, ungefähr dieselbe.
Ordnet man somit Momentwerthe nach den Integralwertlien, so sind die systematischen Fehler, die mau
dabei begeht, jedenfalls viel kleiner, als wenn man umgekehrt verfährt; besser ist es freilich immerhin, nur
Werthe derselben Augenblicke zu vergleichen und sich nicht auf die gegenseitige Aufhebung der Fehler zu
verlassen.
Für den Raum würden dieselben Betrachtungen, wie für die Zeit gelten, wenn man z. B. Werthe einer
Station mit den Mittelwerthen des ganzen Landes zu vergleichen wünscht ; dieser Fall kommt aber für uns
hier nicht in Betracht.
Ein fernerer methodischer Fehler könnte darin liegen, dass bei der rasch nach oben abnehmenden
Häufigkeit der verschiedenen Stärkestufen unter den (beispielsweise) als Stärke 8 notirten Fällen diejenigen,
die zwischen 7 5 / 2 und 8 liegen, überwiegen müssen über die zwischen 8 und 8V2 liegenden, also das Mittel
eigentlich nicht 8, sondern etwas weniger sein müsste. Allein dieser Fehler kommt für uns nicht in Be
tracht, nicht allein weil er klein ist (vgl. Kleiber's Bestimmung desselben in Meteor. Zeitsclir. 1888, S. 440
und 1890, S. [96]), sondern weil er bei den Schätzungen und den Messungen in nahe gleichem Maasse vor
handen sein muss.
2. Sowohl die Schätzung, als die Messung müssen, jede für sich, möglichst tadellos richtig
sein. Die Schätzung muss also von erfahrenen, urtheilsfäkigen Beobachtern gemacht sein, und da es sich
um Feststellung normaler Werthe unter Ausmerzung persönlicher Eigenthümlichkeiten handelt, so ist es
wichtig, das Urtheil möglichst vieler Beobachter zusammeuzufassen; 1000 Schätzungen von 5 erfahrenen
Personen sind werthvoller, als 5000 von einer einzigen. Die Beobachter müssen dabei auch in günstiger
*) Man vergl. z. B. die Aenderung des Verhältnisses zwischen den gleichzeitigen Windgeschwindigkeiten von Petersburg
und Kronstadt je nachdem die des einen oder die des anderen Ortes als Argument genommen werden, in der Abhandl. von
Rykatsclieff im Repert. für Meteorol. Bd. 12, N0. 6, S. 44—45.