6
Aus dem Archiv, der Deutschen Seewarte — 1S98 No. 4 —
§ 9. Bestimmung der Rechtzeitigkeit der Warnungen. Da telegraphische dienstlich-technische Widrig
keiten dem Sturinwarnungswesen nicht zur Last gelegt werden können, so darf bei der Beurtheilung der
Rechtzeitigkeit des Erlasses einer Warnung dem Umstande keine Rechnung getragen werden, dass die am
Sonntag mittags erlassenen Sturmwarnungen meist erst am Abend und die während des Abendclienstes aus
gegebenen Warnungen früher meist und auch jetzt noch zum grossen Theil erst am folgenden Morgen den
Signalstellen zugestellt werden, wie dass gelegentlich Sturmwarnungs-Telegramme um Stunden verspätet oder
auch aus Versehen garnicht zugestellt werden.
Als rechtzeitige Warnungen wurden zunächst angesehen: während des Morgendienstes erlassene War
nungen, falls zur Zeit des Nachmittagsdienstes noch keine stürmischen Winde auftraten, und während des
Nachmittags- und des Abenddienstes erlassene, falls die stürmische Witterung erst während der folgenden
Nacht oder am folgenden Tage auftrat. In den Fällen, wo nach einer Warnung während des Vormittags
dienstes schon zur Zeit der Nachmittagsbeobachtung und nach einer Warnung während des Nachmittags
dienstes bereits zur Zeit der Abendbeobachtungen stürmische Winde wehten, wurde in den Tagebüchern der
Signalstellen weiter nachgeforscht, um ein Urtheil über die Eintrittszeit der stürmischen Witterung zu ge
winnen, und es wurden die Warnungen dann als verspätet angesehen, falls unter Berücksichtigung einer
normalen Zustellungsfrist zur Zeit des Einganges der Telegramme bereits stürmische Witterung bestand.
Wenn es auch für die Arbeitskraft eines Einzelnen offenbar nicht möglich sein konnte, in solchen Fällen
für jede Station jede zeitigste Notirung eines stürmischen Windes in Bezug auf die Rechtzeitigkeit der Warnung
zu prüfen, ohne dabei gelegentlich ein falsches Urtheil abzugehen, so hofft der Verfasser doch, in seiner
Beurtheilung der Rechtzeitigkeit der Warnungen gewiss bis auf wenige Fälle das Richtige getroffen zu haben.
Da von vornherein die Absicht bestand, bei der Beurtheilung des Erfolges der Sturmwarnungen jeden ver
späteten Erlass einer Warnung als Fehlschlag zu rechnen, entgegen dem gewöhnlichen Gebrauch, solche
Fälle als einen halben Erfolg in Rechnung zu stellen, so ist in einigen wenigen Fällen, wo für Stationen
mit besonders exponirter Lage und wohl auch vielleicht zu hohen Windstärkeschätzungen, wie z. B. Brüster-
ort, die Warnung als verspätet zu betrachten gewesen wäre, wo aber späterhin auf solchen Stationen der
Wind zu erheblich grösserer Stärke anschwoll und der Sturm dann auch die übrigen Stationen derselben
Gruppe traf, die Warnung noch als rechtzeitig beurtheilt worden.
Die Anweisungen («) zum Hängenlassen der Signale wurden als gelungen betrachtet, falls in der nach
folgenden Nacht ein Anschwellen oder eine Aenderung der Richtung der Stürme eintrat, oder stürmische
Witterung noch am folgenden Tage bestand. Wenngleich bei den bestehenden Vorschriften die Signale
an dem Abend des auf die Warnung folgenden Tages hängen bleiben sollen, sobald zu dieser Zeit noch
stürmische Witterung besteht oder die Aenderungen des Wetters solche erwarten lassen, in solchem Falle
die Anweisung, die Signale hängen zu lassen, nicht erforderlich ist, so müssen diese Anweisungen doch in
allen derartigen Fällen als gelungen betrachtet werden. Da jedoch die Fälle unveränderten Fortbestehens
der stürmischen Witterung in der Nacht bei Anfertigung der Auszüge aus den Tagebüchern der Signalstellen
nicht besonders hervorgehoben wurden, und deren nachträgliche Feststellung nicht mehr ausführbar erschien,
so wurden die Anweisungen zum Hängenlassen der Signale in einigen Fällen zu ungünstig beurtheilt, doch
wurden andererseits die ausgezogenen Fälle von Stürmen in den auf Sturmwarnungen folgenden zweitnächsten
Nächten durchweg als gelungen und damit gelegentlich einzelne zu günstig beurtheilt, in der nicht mehr
genau auf ihre Richtigkeit im einzelnen Falle zu prüfenden Annahme, dass die Witterung an dem Abend
des auf die Warnung folgenden Tages bereits stürmisch gewesen sei oder diesen Charakter habe erwarten
lassen und somit das Hängenlassen der Signale bedingt habe.
Jedenfalls hat das Bestreben Vorgelegen, durch unparteiische Abgabe des Urtheils ein solches von
möglichster Objektivität und der Wahrheit thunlichst entsprechendes zu schaffen.
I. Theil.
Die Sturmtage und die Sturmphänomene an der deutschen Küste in den Jahren 1886/95.
Es ist hervorgehoben worden, dass ein Fortschritt in der Voraussage der Stürme nur durch ein inten
sives Studium der Stürme unserer Küste möglich ist, und dass somit die Feststellung der Zeiten stürmischer
Witterung für die einzelnen Theile der Küste ganz unerlässlich nothwendig ist. Da nicht genügend Anemo-