E. Engelenburg, C. I.: Aerodynamische Theorie der Gewitter.
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bend bleiben zu können, oder in Folge äusserer störender Umstände. Zweitens kann der Hagel auf der
Strecke 0 Q ausgeschüttelt werden, weil in Folge der rapiden Vergrösserung des Wirbelquerschnittes die
auf der Strecke PO gebildeten Hagelkörner in Folge der verringerten Wirbelgeschwindigkeit nicht länger
schwebend bleiben können. Im ersteren Falle werden die Hagelkörner an den beiden Rändern des Hagel
striches nach aussen geschleudert. Ein Beispiel ist der Hagelschlag im Kanton Thurgau am 6. Juni 1891. 8S )
Im zweiten Falle werden die Hagelkörner nach dem zentralen Theil des Striches geworfen. Ein Beispiel
dieses Auftretens war bei dem Orkan zu Crossen. 80 ) Die vom Sturme umgeworfenen Gegenstände geben in
beiden Fällen dieselben Richtungen an, wie der Hagel.
Der responsive nach innen und nach aussen gerichtete Hagelfall erklärt sich aus den Wirbelbewegungen.
Ueber die Strecke PO muss der Theil des Wirbels, in welchem die Rotation heftiger stattfindet und von
stärkerem Sturmwind begleitet ist, bei den links und rechts liegenden Querschnitten vorauseilen. Die Wir
belung findet dann nicht in unter einander parallelen Flächen statt, sondern so wie sie von den Pfeilen
angedeutet ist, der Hagelschlag pflanzt sich dabei mit immer wachsender Geschwindigkeit fort. Gerade das
Gegentheil zeigt sich auf der Strecke 0 Q. Die Wirbelung findet statt in nach dem zentralen Theile kon-
vergirenden Flächen. Die Fortpflanzungs-Geschwindigkeit des Hagels, wie die Dauer nehmen ab, sowie die
Intensität aller Erscheinungen. Die Verringerung der Dauer wird einestheils verursacht durch die* Abnahme
des vorhandenen Hagels, zweitens durch die Diameter-Vergrösserung des Wirbels, welche dieser vorhandene
Hagel über grösseren Umfang ertheilt und also die Dichtigkeit der Hagelkörner verringert. Diese Abnahme
der Fortpflanzungs-Geschwindigkeit des Hagels, zusammen mit einer Verringerung der Dauer und der In
tensität der ganzen Erscheinung ist bei vielen Hagelfällen nachweisbar, u. a. bei dem Hagelschlag am 1. Juli
1892 in Brabant. 90 )
Die hier angedeuteten Erscheinungen waren ziemlich komplizirt, die Erscheinungen in der Natur sind
es jedoch in viel höherem Maasse. Der rohrförmige Wirbel braucht im Querschnitt nicht kreisförmig zu
sein, lokale direkt oder indirekt auf den Wirbel einwirkende Umstände, z. B. Berge und Flüsse, können
dem Wirbel sowohl horizontal als vertikal eine sich schlängelnde Form geben. Die Höhe der Wirbelachse
über der Erde kann sich ändern. Der Wirbel als Ganzes braucht nicht ausschliesslich durch Translation
sich zu bewegen, eine Drehung um eines der Enden ist nicht ausgeschlossen. Dieser Fall, oder wenn
der Wirbel einen Fluss kreuzt, kann veranlassen, dass die Hagelscheibe sich über die Wirbelachse verstellt;
dies war z. B. der Fall bei dem Hagelschlag am 6. Juni 1891 in Thurgau oder am 1. Juli 1892 in Brabant.
Sehr komplizirte Erscheinungen finden statt unter dem wechselseitigen Einfluss zweier Wirbel. Es
würde zu weit führen, diese meist nur mittelst konkreter Fälle zu verdeutlichenden Wirkungen weiter zu
verfolgen. Es muss der Zukunft überlassen werden, eingehende, sein - genaue Beobachtungen zu sammeln
und diese an der Hand der skizzirten Wirbeltheorie zu erklären; unter diese ist auch zu rechnen die Be
obachtung mittelst Brontometer der Aufeinanderfolge der Erscheinungen. Sofern diese Reihenfolge bekannt
ist, stimmt sie mit unserer Theorie überein: Erscheinung des Wolkenwulstes, — beschleunigte Senkung des
Luftdruckes, — Abkühlung, Druckstufe, Windstoss und Winddrehung treten ungefähr zu gleicher Zeit mit
dem Maximum der Finsterniss, wenn die Böe im Zenith ist, auf, — erste grosse Regentropfen oder Hagel,
— wenn der Wirbel durch den Zenith ist, kräftiges Gewitter und Regenschauer, — Ende des Regens, Auf
klärung, Abnahme des Luftdruckes, — Zurückdrehung des Windes. Der Hagelschlag hat die geringste
Dauer, höchstens 15 bis 20 Minuten, der Sturmwind dauert etwas länger, obschon nach dem ersten Stoss
stark vermindert und mit abwechselnder Intensität; das Gewitter dauert eine halbe bis dreiviertel Stunde,
der Regen noch länger.
Wir werden später noch auf einige Erscheinungen, wie Elektrizitäts-Erregung und Regenbildung, zu
rückkommen; zunächst seien hier einige von Ciro Ferrari 41 ) durch Beobachtung und auf synoptischem
Wege gefundene Resultate mitgetheilt, welche meistens in dem Vorangegangenen erklärt sind.
„Je grösser die Fortpflanzungs-Geschwindigkeit, um so stärker auch der das Gewitter begleitende Wind.“
„Die Elektrizitätsstärke ist grösser in den schneller fortschreitenden Gewittern.“
„Den grösseren Geschwindigkeiten scheint geringere Dauer zu entsprechen.“
Aus den vorhergehenden Erklärungen folgen diese Sätze von selbst. Der Sturmwind führt die Wirbel
mit sich und in normalen Umständen mit der Hälfte seiner eigenen Geschwindigkeit; je schneller der Wind,
desto schneller schreitet der Wirbel fort und desto grösser die Rotations-Geschwindigkeit, welche, wie wir