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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1S96 No. 4 —
ein regelmässiges 15 bis 30 Minuten anhaltendes Gewitter. Gegen das Ende wird der westliche oder nord
westliche Wind schwächer und dreht sich dabei nach SW zurück. Der Hegen verliert den Charakter eines
Platzregens und geht allmählich in einen bisweilen lange dauernden Landregen über. Die allgemeine Wetter
lage erfährt durch das Vorüberziehen der Böe eine gänzliche Umgestaltung. Es ist kühl, und wenn der
Hegen zuletzt auf hört, bleibt der Himmel noch längere Zeit überzogen. Bei einigen Böen wird der erste
Windstoss von einem oder mehreren schwächeren gefolgt.
In der Front der Böe, d. h. mit dem Losbrechen des Sturmwindes fällt die Temperatur um mehrere
Grad (am 9. August 1881 7°—14° C.); zur selben Zeit gehen Luftdruck und relative Feuchtigkeit sprungweise
in die Höhe. Sind mehrere Windstösse von abnehmender Stärke beobachtet, dann ist jeder dieser von der
gleichen doch weniger auffallenden Störungen des Druckes, der Temperatur und Feuchtigkeit begleitet.
Gewisse Stellen in der Front zeichnen sich durch grössere Intensität aller Erscheinungen aus und dies
tritt nach dem Vorübergang deutlich ans Licht in den schmalen Zerstörungsstreifen und Hagelstrichen, deren
grösster Durchmesser senkrecht zur momentanen Erstreckung der Böe steht. Das momentane Gewitter-
Terrain ist ein schmales Band ziemlich senkrecht zur Bewegungsrichtung.
Die schmalen Hagel- und Zerstörungs-Streifen in ihrer Ausdehnung, so sehr mit den Tornadobahnen
in Amerika übereinstimmend, sind manchmal Anlass gewesen zur Vorstellung, als ob die ganze Erscheinung
aufgebaut wäre ans einer Reihe Cyklonen öder Wirbel mit vertikalen Achsen, welche wie Soldaten Schulter
an Schulter in der Reihe vorwärts rücken. Diese Meinung findet man z. B. bei Mohn und Hildebrandson.
Doch haben die Untersuchungen der verheerten Landstriche nicht die geringste Spur einer cyklonartigen
Windbewegung in den umgeworfenen Gegenständen entdecken können. So war z. B. das Resultat der
Forschungen nach den Verheerungen des Sturmes am 9. August 1881, des Orkans zu Crossen, des Winter-
Gewitters vom 1. bis 2. Dezember 1887 in Skandinavien und Russland, des Orkans zur Dreux am 18. August
1891 u. s. w.
Wenden wir uns jetzt wieder zur analytischen Betrachtung. Vor der Gewitterfront ist ein schwacher
südöstlicher Luftstrom in Aufsteigung begriffen. Die Steigkraft der Luft ist jedoch nur gering, weil der
Vorgang sich in den untersten Schichten abspielt. Die Luft fiiesst deshalb seitlich ab, was bei der eigen-
thümlichen schmalen Gestalt der Druckfurche nur nach vorne und hinten möglich ist. Rückwärts stösst
diese Luft auf den allgemeinen westlichen Luftstrom unter Einfluss des Hauptminimums; sie wird von dieser
kräftigen Strömung nach Osten zurückgeworfen. An der Vorderseite bekommt die aufsteigende warme,
feuchte Luftmasse die gleiche Richtung wie der über ihr nach Osten gerichtete allgemeine Luftstrom. Sie
wird von diesem beschleunigt und in der Trennungsfläche findet Kondensation des Wasserdampfes statt.
Hier kommen die Vorboten der Böe, die falschen Cirri, die Cirro-cumuli und zuletzt die Cirro-stratus-Decke
mit den sie begleitenden Halo’s zu Stande. Nach Eckholm und Hagström ist die Höhe der falschen
Cirri ungefähr dieselbe wie die der Gipfel der Cumuli, nämlich 1400—3000 m; die eigentliche Gewitterwolke
liegt viel tiefer. Sie können nicht die Quelle der Elektrizität bilden, weil sie dem Gewitter stundenweit
vorangehen.
Wir weisen darauf, wie nach dieser Erklärung oberhalb und rückwärts von der Gewitterwolke warme
Luft vorhanden ist, welche nicht in Einklang zu bringen ist mit Solincke’s Senkung der Isothermfläche
Null. Das Vorhandensein dieser warmen Luft erklärt die Luftspiegelungen, welche manchmal auf Gewitter
folgen. Sie ist auch thatsächlich beobachtet worden. So giebt Prof. Reimann in der Meteorologischen
Zeitschritt einige Beispiele hoher Temperaturen, oberhalb Gewitter beobachtet. Krebs 66 ) meldet in seiner
Dissertation, wie auf der Schneekoppe (1600 m Höhe) während drei verschiedenen Tagen, wo ein Gewitter
unter dem Gipfel durchzog, die dort beobachteten Temperaturen beträchtlich (7°—19° C.) über dem Monat
mittel waren. Auch die von Sohncke behufs seiner Theorie angeführten Temperatur-Beobachtungen auf
Berggipfeln sind nur zur Hälfte für ihn günstig. 66 )
Der allgemeine westliche Luftstrom wird von der vorangehenden schmalen Zone mit warmer, feuchter
Luft stark angezogen und mehr und mehr beschleunigt, je nachdem sich das trogförmige Minimum mittelst
Insolation mehr entwickelt. Daraus erklärt es sich, dass die ganze Erscheinung während der Nachmittags-
Stunden ihr Maximum erreicht und mit dem Herannahen der Nacht allmählich abgeschwächt wird. Endlich
hat der mit einer viele Meilen breiten Front über die Erdoberfläche streichende schwere, kalte Luftstrom
an seiner keilförmigen Spitze eine so grosse Geschwindigkeit bekommen, dass in seiner oberen Seite gleich
hinter der Front unter Mitwirkung der feuchten, warmen, hier rückwärts fliessenden Luft eine Wirbelung