■Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1890 Nr. 4 —
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Innerhalb einer Flüssigkeit, in welcher beide Arten der Bewegung stattfinden oder welche aus ver
schiedenen Wirbelbewegungen aufgebaut ist, sind also Oberflächen vorhanden, welche die Grenze bilden
zwischen Flüssigkeitsmengen, welche auf ganz verschiedene Weise bewegt werden. In einer ideellen Flüssig
keit ohne Viscosität besteht keinerlei Zusammenhang zwischen zwei benachbarten Massen, welche durch
solch eine Fläche getrennt werden. Die Atmosphäre nähert sich am meisten diesem Zustand. So wird es
begreiflich, dass in der Luft eine Menge meist unsichtbarer Wirbelbewegungen vorhanden ist. Wie diese
entstehen, ist meistens schwierig anzugeben, doch viele dieser sind aus analogen und sichtbaren Bewegungen
der Flüssigkeiten oder in kleinerem Maassstahe auf experimentellem Wege anzudeuten.
Es ist dabei erwünscht, Unterschied zu machen zwischen der turbulenten Bewegung von Lord Kelvin
oder, was ziemlich dasselbe ist, der tumultuosen Bewegung von B ous sinecq und der mehr in der engeren
Bedeutung rotatorischen Bewegung oder Wirbelbewegung (Vortex motion), wie diese von v. Helmholtz im
Jahre 1858 entdeckt worden ist, weil der Hauptsache nach die später zu behandelnden rechts- und links
drehenden Wirbel sich hieran anschliessen.
Das Vorhandensein eines Steines auf dem Boden eines nicht zu tiefen, schnell fliessenden Wasserlaufes
giebt sich an der Oberfläche durch eine Reihe stehender Wellen kund. Diese zeigen, wie in der Nähe des
Hindernisses eine vollständige Aenderung in der Wasserbewegung entstanden ist. Ist das Wasser klar, dann
ist es möglich, unmittelbar hinter dem Stein einige schnell rotirende horizontale Wirbel zu beobachten. Eine
ähnliche Störung der regelmässigen Bewegung muss auch in der Atmosphäre Vorgehen, da wo bei grossen
Windgeschwindigkeiten Unregelmässigkeiten an der Erdoberfläche auftreteu, sei es, dass diese gebildet
werden durch Bodenerhebungen oder durch Aenderung der Bodenbedeckung. An der Vorderseite des
Hindernisses werden die Luftpartikelchen aus ihrer horizontalen Bahn in die Höhe gedrängt und bei ge
nügend grosser Geschwindigkeit schiessen sie sich selbst, in Folge der lebendigen Kraft, vorbei, wie man
dies kennzeichnend ausdrückt. An der Leeseite des Hindernisses würde also ein luftleerer Raum entstehen,
wenn nicht die in ihrer gestörten Bahn weitereilenden Luftpartikelchen sich stark wirbelnd in diesen Raum
hineinstürzten. Die Thatsache, dass eine gewisse Kraft angewendet werden muss, um ein Hinderniss, z. B.
eine Platte, quer in dem Luftstrom unverändert an seiner Stelle zu halten, beweist das Vorhandensein dieser
meist unsichtbaren Wirbel. An der Luvseite wird die Bewegung der Lufttheilchen verzögert, sie drücken
auf das Hinderniss und dabei wird lebendige Kraft in potentielle Energie umgeändert, an der Leeseite da
gegen wird die Bewegung beschleunigt und heftiger, potentielle Energie wird in kynematisches Arbeitsver
mögen umgesetzt.
Nicht allein Bodenerhebungen, sondern auch Aenderung in der Bodenbedeckung kann auf diese Weise
die regelmässige Luftbewegung stören. Wenn der Wind vom Meere nach dem Lande herüberweht, werden
die untersten Luftschichten durch grössere Reibung verzögert und unmittelbar hinter der Küste festgehalten
und angehäuft, die untersten mehr, die oberen weniger. Folgende gleichsam von dem Meere heraneilende
Lufttheilchen stossen gegen diese weniger schnell forteilende Luft, werden in die Höhe gedrängt und so ge
zwungen zur Umgehung eines Hemmnisses. Bei ihrer ansteigenden Bewegung steigen sie anfangs zu viel, worauf
Senkung und neue Steigung folgt, und so entsteht eine Wellenbewegung, die, wenn sie in Wasserzustand kommt,
an der Oberfläche zu Tage tritt. An der Luft ist jedoch keine freie Oberfläche vorhanden, dennoch besitzt
die Atmosphäre in dem mitgeführten Wasserdampfe das Mittel, diese Wellenbewegung anzuzeigen. Durch
die Wellenbewegung wird die feuchte Luft abwechselnd in die Höhe geführt, wo der Wasserdampf als solcher
noch möglich ist, oder wo er in Folge geringer Temperatur zur Wolkenform kondensirt wird. Es ist auch
möglich, dass unmittelbar unter dem ersten Wellengipfel die Luft theilweise in Wirbelung geräth und die
Wolkenbildung eine Folge ist der dynamischen Abkühlung im Zentrum dieser Wirbel. In dieser Weise sind
die bisweilen bei heiterem Himmel in einiger Entfernung von der Küste landeinwärts vorhandenen parallelen
Wolkenstriche erklärbar. Auch der „Helm-wind“ oder „Helm-bar“ in Durhamshire und von W. Marriott
untersucht 85 ) kann als Beispiel dienen.
Wenn die Windgeschwindigkeit eine gewisse Grenze überschreitet, dann verläuft die Erscheinung jedoch
nicht so einfach. Unmittelbar hinter der Küste entstehen dann einige mit ihr parallele Wirbel. Unter
Umständen können hierdurch Gewitter erzeugt werden, welche sich dann auf einen wenig breiten Küsten
saum beschränken.
Ein anderes Beispiel, den Bewegungen des Wassers entlehnt, ist folgendes. Unmittelbar hinter einem
Brückenpfeiler in fliessendem Wasser kann man einen nicht ganz konstanten dreieckigen Raum mit der