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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1896 No. 4 —
Elster und Geitel haben den meisten Werth, entweder durch ihre meteorologisch-physikalische Grund
lage oder durch die mechanisch - physikalische Behandlungsweise oder, wie letztere, nur vom physikalischen
Gesichtspunkte beleuchtet.
Während der Zeit der Enttäuschung nach 1885 erscheinen und verschwinden schnell wie leuchtende
Meteore die Hypothesen von Wurster und Arrhenius. Es ist begreiflich, dass, während die Meteorologie
anscheinend das Problem theilweise ruhen lässt, die mit raschen Schritten Wunder zaubernde Lehre der Elek
trizität ihrerseits von neuem Versuche zur Erklärung anstellt. Doch die Meteorologie ist nicht gänzlich aus
dem Felde geschlagen. Krebs und Marchi treten mit ihren Versuchen auf, in welchen die elektrische Seite
des Problems ganz weggelassen ist und die durch Gewitterstudien erhaltenen Nebenerscheinungen in den
Vordergrund rücken. Krebs’ Standpunkt ist rein meteorologisch, de Marchi betrachtet das Problem als
ein ärodynamisches.
Alle früheren Hypothesen konnten nicht genügen, weil sie ohne Ausnahme von Physikern erdacht
waren, welche nur die physikalische Frage in Berücksichtigung nahmen. In den späteren Jahren ist ein
Streben erkennbar, den physikalischen Prozess mit den meteorologischen Beobachtungen in Uebereinstimmung
zu bringen oder aus diesen zu erklären, und zwar hauptsächlich mit einem aufsteigenden Strome warmer,
feuchter Luft, nachher auch mit den sogenannten Nebenerscheinungen, doch waren einestheils die vorhan
denen Kenntnisse der Gewitter zu einseitig, anderentheils fehlte den Physikern, welche die Theorien er
dachten, die nothwendige meteorologische Einsicht, und so sind die beobachteten Erscheinungen nicht immer
in logische Verbindung gebracht oder fehlerhaft interpretirt.
Den Physikern ist kein grosser Vorwurf zu machen aus ihren mangelhaften Kenntnissen der Gewitter-
Erscheinungen, denn den Meteorologen selbst fehlt noch manches, wie aus den schrankenlosen Verwirrungen
in der Klassifikation der Gewitter hervorgeht, noch vermehrt durch Andeutung einer und derselben Erklä
rung unter verschiedenen Namen oder umgekehrt. So kennt man Wärmegewitter, Wirbelgewitter, lokale
Gewitter, Wintergewitter, Depressionsgewitter, Böen, hüpfende Gewitter, erratische Gewitter, aufeinander
folgende Gewitter u. s. w. und dabei sind die ziemlich seltenen, doch interessanten Sturmgewitter ausnahms
los übergangen.
Das grösste Hinderniss für das Zustandekommen einer einigermassen genügenden Gewittertheorie bilden
einige festgerostete Begriffe, welche auch in anderer Richtung der Entwickelung der Meteorologie sehr ge
schadet haben. Gemeint ist hier die Minima- oder Cyklontheorie und als Folge davon der Irrthum, dass
Winde ausschliesslich verursacht werden durch Luftdruck-Unterschiede an der Erdoberfläche, und das Streben
an der Hand der Minima-Theorie alle Wirkungen in der Atmosphäre nur aus Erscheinungen an der Erd
oberfläche erklären zu wollen.
Die Cyklone hatte man kennen gelernt in den Tropen als einen Komplex von Luftbewegungeu auf
spiralförmigen, in einem Punkte, dem des niedrigten Barometerstandes, konvergirenden Bahnen. Nach dem
Zentrum wird die Luft angezogen und geräth hier ins Aufsteigen. Die Fortbewegung der Cyklone findet
nicht statt als die Bewegung einer rotirendeu Luftmasse im ganzen, sondern in der Weise einer sich fort
während auf neue Luftmengen übertragenden Art Wellenbewegung. Die synoptische Methode lehrte das Vor
handensein solcher Windsysteme auch in höheren Breiten zu erkennen, doch hier meistens in unregelmässiger
Gestaltung, von schwächerer Intensität und sich über grössere Landstriche erstreckend. Im kleinen sah
man dergleichen Cyklonbewegungen bei Tromben und Tornados. Und hierin meinte man den Zauberschlüssel
zur Erklärung des wechselnden Wetters gefunden zu haben. Aller Wind auf der Erde sei entstanden in
Folge der Druckunterschiede, die durch dergleichen Minima verursacht sind. Es liegt auf der Hand, dass
man diese Cyklonbewegungen auch als den Sitz der Gewitter ansah, und zwar hauptsächlich in jenen Fällen,
w r o das Gewitter von einem heftigen orkanartigen Wind begleitet war. Doch gerade da, w'o diese Annahme
am meisten berechtigt erschien, lehrte eine Durchforschung der verheerten Gegenden, dass dieser Orkan
wind unmöglich mit cyklonartiger Luftbewegung in Verbindung zu bringen war. So lehrte die Untersuchung
über den Orkan bei Crossen, bei Dreux und andere in Norwegen und Schweden.
In Bezug auf den Wind stiess die Minima-Theorie der Gewitter noch auf eine zweite unüberwindliche
Schwierigkeit. Es giebt nämlich Gewitter, welche unmittelbar in der Front von einem sehr breiten, wenig
tiefen Sturmwind begleitet sind, welcher senkrecht zur Isobare steht, also im Widerspruch mit dem sogenannten
Buys-Ballot’schen Gesetze. Es ist bereits gezeigt, wie an der Hand der Guldberg-Mohn’schen Formeln
eine mögliche Auflösung gegeben werden kann, doch ist auch diese nicht ganz befriedigend. Nur dann,