E. Engelenburg, C. I.: Aerodynamische Theorie der Gewitter.
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die Reibung der Eisnadeln mit Wassertröpfchen in der Atmosphäre ansieht. Betrachten wir die Haupt
sache, die Erklärung der Gewitter, dann wohnt Luvini’s Theorie ein viel grösserer hypothetischer Charakter
inne als der Sohncke’s, weil sie nicht wie diese letztere auf dem festen Boden der meteorologischen That-
sachen aufgebaut ist, sondern sich einer anderen Hypothese anschliesst, nämlich der von Faye über die
Natur der Cyklonen und Tromben. Luvini setzt voraus, dass eine Trombe (nach Faye) mit ziemlich verti
kaler Achse und reich an Eisnadeln mit niedriger Temperatur, aus der Höhe niederkommend, in einen
Kumulus eindringt.
Dieser niedersteigende Wirbel bildet mit seinen Eisnadeln gleichsam die Glasscheibe einer Elektrisir-
maschine, deren reibende Umhüllung der Wasserdampf des Kumulus ist. Alles, was gegen Sohncke’s
Theorie angeführt ist, ist auch hier anwendbar und in viel grösserem Maasse. Ausserdem ist Luvini’s
Hypothese noch zahlreicheren anderen Bedenken ausgesetzt. Ebenso wenig wie Luvini die das Gewitter
einleitenden Umstände behandelt, giebt er auch eine Erklärung der Nebenerscheinungen. Dagegen giebt
Luvini in derselben Brochüre eine Erklärung über das Entstehen des Hagels, welche — und hierauf soll
mit Nachdruck hingewiesen werden — in keiner anderen Verbindung steht mit seiner Gewitter-Hypothese, als.
dass der Hagel von dem Blitze verursacht werde. Dieser Meinung huldigte bereits Pater Beecaria;
Spring, wie bald gezeigt werden soll, vertritt eine gerade entgegengesetzte Theorie: Hagel soll die
Elektrizität erregen. Wenn der Blitz einen Wassertropfen trifft, findet nach Luvini die elektrische Ent
ladung nur in einer Oberflächen-Schicht statt und dringt nicht ins Innere des Tropfens ein. Sohncke zieht
diese Erklärung in Zweifel, doch stützt Luvini sich auf Autoritäten, wie Franklin, Beecaria, Jallabert
und Monier. Die epochemachenden Experimente von Prof. 0. Lodge über Blitzableiter und über den
Charakter der elektrischen Entladung sind der Erklärung Luvini ’s nicht ungünstig. In Verbindung mit dieser
soeben augedeuteten Thatsache steht auch die weitere, dass eine nur äusserst dünne Oberflächen-Schicht
des Tropfens verdampft, ohne dass das Innere merklich wärmer wird. Der Tropfen ist also auf einmal in
den Zustand versetzt, als wäre er in einen glühenden metallenen Behälter gebracht, d. h. er befindet sich
im sogenannten Sphäroidalzustande. Die schnelle Verdampfung der Oberflächen-Schicht drängt die um
gebende Luft auf einmal zurück und dabei geht die grosse Hitze und Spannung dieses Dampfes verloren,
damit wird der Druck in der unmittelbaren Umgebung des Tropfens plötzlich sehr klein. Das Innere des
Tropfens hat noch immer die ursprüngliche Temperatur, doch ist er bei diesem Minimaldruck überhitzt;
er verdampft plötzlich und geht dabei theilweise in eine Eismasse über.
Eine brauchbare Gewittererklärung soll zugleich eine Hagelerklärung sein. Nach Luvini verursacht
der Blitz den Hagel. Es ist jedoch ohne Zweifel, dass auch Hagel ohne Blitz vorkommt und damit fällt
die Erklärung Luvini’s. Ebenso wenig ist jedes Gewitter von Hagel begleitet. Die bekannte, oft vor
kommende schichtenweise Struktur der Hagelkörner und ihre Gestalt als Rotationskörper sind nicht allein
nach Luvini’s Theorie nicht erklärlich, sondern ganz damit in Widerspruch.
Die Hypothesen von Spring, Fick, Gerland, Hoppe, Liebenow, de Trommelin und Jordan
sind wegen der Verwandtschaft ihrer Grundgedanken unter sich und mit denen der beiden vorhergehenden
Theorien am täglichsten im Anschluss an diese zu besprechen.
Spring 45 ) geht bei seinen Betrachtungen von der Beobachtung eines Gewitters in den Alpen aus, in
einer Höhe von etwa 2200 m, wobei es heftig hagelte, der Regen jedoch nach den elektrischen Entladungen
kam. Als Ursache der Elektrizitäts-Erregung betrachtet Spring die Reibung der trockenen Hagelkörner
bei ihrem Entstehen an der Luft in den höheren Schichten der Atmosphäre, die Elektrizität haftet also an
den Körnern selbst. Zweitens soll die Verringerung der freien Oberfläche, welche eine Folge der Bildung
der Hagelkörner ist, eine Vergrösserung der elektrischen Spannung verursachen. Aus Experimenten
Faraday’s und Elster’s und Geitel’s geht hervor, dass die trockene Luft nicht im Stande ist, durch
Reibung gegen feste Körper, also auch Eis, Elektrizität zu erregen. Das negative Resultat Faraday’s
widerlegt Spring dadurch, dass jeder Körper stets von Luft umgeben ist, und deshalb in den Experimenten
Faraday’s nur Luft mit Luft gerieben wird. Ueberdies ist es Spring gelungen, eine Metallkugel zu elektri-
siren, indem er einen konstanten, kräftigen, trockenen Luftstrom darauf richtete. Die Goldblättchen des
Elektroskopes zeigten dabei keine konstante Ablenkung, doch divergirten sie abwechselnd strark und schwach.
Das scheinbare Gelingen der Experimente Spring’s lässt sich jedoch auch anders erklären. Dass nicht jedes-
Gewitter von Hagel begleitet ist, erklärt Spring durch das Schmelzen der Hagelkörner, wenn sie durch die
tieferen wärmeren Luftschichten zur Erde herabfallen.