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Ans dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1896 No. 4 —
Beide Experimentatoren haben deutlich gezeigt, dass Elektrizität Tropfenbildung veranlasst, und da höchst
wahrscheinlich die bratme Farbe der Gewitterwolken eine Beugungs-Erscheinung der Lichtstrahlen ist, so
kann es auch nicht wundern, dass die Hagelwolken, wo nicht Regentropfen, sondern die noch grösseren
Hagelkörner die Beugung veranlassen, sich in noch auffallenderer Weise durch die Farbe kundgeben.
Elster und Geitel 34 ) versuchen nur die Gewitter-Elektrizität zu erklären und gehen dabei von dem
Vorhandensein einer schwachen elektrischen Ladung aus. Sie stützen sich dabei auf die hier auf der vorigen
Seite besprochene ausserordentliche Empfindlichkeit der Flüssigkeits-Strahlen für elektrische Induktion. Ihre
Erklärung basirt sich auf folgendes Experiment. Eine offene cylindrische Metallröhre wird positiv geladen
und vertikal isolirt aufgehängt. Ein zweites cylindrisches Metallgefäss wird mit Wasser gefüllt und isolirt
über dem Rohr festgehalten. Durch eine schmale Oeffuung in dem Boden fiiesst das Wasser heraus, und
bei dem Hindurchfallen durch die erstgenannte Röhre werden die Wassertropfen negativ-elektrisch und ihrer
seits machen sie den metallnen Behälter positiv. Wenn man nun diesen schnell in die Röhre hinuntersenkt
und beide einen Augenblick in Kontakt bringt, dann fiiesst die Elektrizität ganz auf die Röhre über. Wird
jetzt das Gefäss in seine ursprüngliche Lage zurückgeführt, so fängt die Influenz von neuem an, doch jetzt
durch eine stärkere Ladung der Röhre. Durch Wiederholung dieser Manipulation kann man die Ladung der
Röhre so stark steigern. dass sie Funkenbildung veranlasst. Die Erscheinungen in der Natur denken sich
die Autoren auf analoge Weise entstanden Die untersten Wolken haben eine schwache positive Ladung; so
lange es nicht regnet, bleibt die Elektrizität nahezu an derselben Stelle oder verbreitet sich mit abnehmen
der Spannung über die ganze Wolke, je nach der Leistungsfähigkeit der Dunstmasse. Sobald nun die
Wolke regnet, nimmt sie analog dem geschilderten Duplikator Elektrizität an. Denn die Tropfen entstehen
zuerst ~an den kalten d. h. den höheren Stellen der Wolken. Sie müssen durch die untere influenzirende
Wolkenschicht fallen und werden da negativ. Mit Regenbildung geht eine Oberflächen - Kontraktion und
Spannungs- Erhöhung Hand in Hand, die ganze Wolkenmasse ballt sich zusammen und letztere hat eine
analoge Wirkung, wie das In-berührung-bringen von Gefäss und Rohr.
Der Kern dieser verwendbaren Theorie ist: Gewitter-Elektrizität entsteht durch Influenz; die Regen
tropfen, wie der Wasserstrahl hei einem Thomson’sehen Kollektor, sind das Primäre; Spannungs - Erhöhung
ist Folge der Oberflächen - Kontraktion. Das Aequivalent der zur Bildung der Potential - Differenzen ver
brauchten Arbeit liegt in der lebendigen Kraft des niederstürzenden Regens. Es ist jedoch nicht klar,
weshalb nicht auf jede Regenbildung Gewitter folgt. Auch scheinen die Beobachtungen gerade das Gegen-
theil einer Volumen-Kontraktion der Gewitterwolken anzuzeigen. Dagegen scheint es in vielen Fällen höchst
wahrscheinlich, dass Platzregen Gewitter einleiten.
Alle jetzt zu besprechenden Theorien suchen die Quelle der Elektrizität in Reibung, was bereits im
vorigen Jahrhundert durch Winkler ausgesprochen war.
Sohnke 35 ) beabsichtigt nicht so sehr eine vollständige Erklärung der Gewitter-Erscheinungen, was
auch bei den meisten übrigen Theorien der Fall ist; die wirkliche Absicht ist vielmehr, nachzuweisen, dass
stets, wenn die für den Ausbruch eines Gewitters erfahrungsgemäss nothwendigen meteorologischen Be
dingungen erfüllt sind, auch eine ergiebige Elektrizitätsquelle in Thätigkeit tritt, an die man wunderbarer
Weise bisher noch nicht gedacht hat, obwohl sie schon von Faraday auf experimentellem Wege zweifellos
nachgewiesen ist. Dieselbe Elektrizitätsquelle scheint es auch zu sein, welche die Erscheinungen der ge
wöhnlichen atmosphärischen Elektrizität, wenigstens der Hauptsache nach, bedingt. Die Natur des behan
delten Themas bringt es mit sich, dass die Untersuchung zum Theil meteorologischen, zum Theil physika
lischen Charakters ist. Wesentlich neue Thatsachen, sagt Sohnke, wird man in seiner Theorie nicht finden;
neu dürfte aber die Verknüpfung mancher bisher vereinzelt dastehender Thatsachen nebst den daraus ent
springenden Folgerungen sein.
Um nicht nur von Vermuthungen auszugehen, stützt Sohnke den meteorologischen Theil auf zwei
durch Beobachtungen nachgewiesene Thatsachen: 1) auf die mittlere Temperatur-Abnahme bei zunehmender
Höhe in der freien Atmosphäre, 2) auf die Natur der Wolken. Als Ergebnisse von 28 Luftreisen, die 8
verschiedene Aeronauten ungefähr zur Hälfte in den Sommermonaten unternommen, zeigt uns Sohnke,
dass auch in den heissesten Sommermonaten auf ziemlich geringer Höhe von 3000—4000 m die Temperatur
unter dem Gefrierpunkt liegt, Die Gesammtheit dieser Punkte der Atmosphäre, in denen in einem ge
gebenen Augenblicke die Temperatur 0° C. herrscht, liegt in einer bestimmten Fläche, „der Isothermfläche
Null“. Die Höhe dieser Fläche ändert sich stark während des Tages. Vormittags steigt die Fläche und