E. Engelenburg, C. I.: Aerodynamische Theorie der Gewitter.
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sich in der ruhigen Atmosphäre, als einem Volta’schen Konglomerat kleinster absoluter Gaselemente mit
zwischengelagertem Wassergas und wenig Flüssigkeit stets vorfinden. Nun ist wohl von Beetz und Gr ove
experimentell gezeigt worden, dass auch zwischen Gasen hei Berührung untereinander Elektrizität entstehe,
doch nur dann, wenn die einzelnen Atome mit einander in Kontakt kommen. Es ist höchst unwahr
scheinlich, dass die Moleküle Sauerstoff und Stickstoff mit den Wassertropfen der Atmosphäre (NB. drei
Nichtleiter) eine Volta’sche Säule oder ein Konglomerat bilden würden. Unter dem Einfluss der Pole eines
solchen Konglomerats sollten die nächstliegenden Luftmoleküle sich abwechselnd nach ihrer Polarität ordnen.
Daher muss die nach der mechanischen Gastheorie bestehende lebhafte Bewegung der Luftmoleküle hei allen
zur aktiven Gewitterwolke gehörigen Theilen der Atmosphäre eine Beschränkung erfahren. Nun hat aber
Clausius in seinen Untersuchungen über die kinetische Gastheorie gezeigt, dass die Temperatur der Gase
nur abhängt von der mittleren Energie der geradlinigen Bewegung der Gasmoleküle. Folglich tritt in einer
aktiven Gewitterwolke von seihst eine Temperatur-Erniedrigung ein. Dieselbe ist als ein mechanisches Aequi-
valent für die gesteigerte elektrische Polspannung anzusehen. Fällt nun die Temperatur wegen starker und
plötzlicher Fesselung der Stickstoff-Sauerstoff-Elemente schnell unter Null, so kann das in der Wolke ent
haltene Wasser in den Zustand der Ueherschmelzung übergehen, und es ist damit die Grundbedingung für
die Bildung des Hagels erfüllt. Ungeachtet dieser schön scheinenden Verbindung zwischen Hagel- und Ge
witter-Bildung kann die ganze Hypothese wegen ihrer Prämisse nicht befriedigen.
Tait 31 ) vertheidigt eine ähnliche Kontakt-Theorie. Die Quelle der Luftelektrizität ist nach ihm der
Kontakt der Lufttheilchen mit dem Wasserdampf. Es wollte ihm jedoch nicht gelingen, diese Elektrizitäts-
Quelle experimentell zu beweisen. Die enorme elektrische Ladung einer Gewitterwolke erklärt Tait als
Folge des Zusammenfliessens von nur schwach geladenen Dampfth eil eben. Durch die Vereinigung der Wasser
dampf-Theil eben, welche alle von demselben elektrischen Potential sind, in einem Kubikzoll gesättigten
Dampfes unter normalem Luftdruck entstehe ein Regentropfen, dessen Potential 50 Millionen, Millionen mal
grösser ist. Solch eine Potential-Erhöhung als Folge der Oberfläclien-Kontraktion bei Tropfenbildung, so wie
dies Andries, 54 ) ausführlicher darthut, findet man auch in vielen anderen Hypothesen. Spring will diese
Erklärung zuerst ausgesprochen haben im „Naturforscher“, Bd. 9, Seite 35G. Nach Elster und Geitel
hätte H. J. Klein sie zuerst mitgetlieilt in „Gaea“, Bd. 5, Jahrg. 19, Seite 592. Hoppe dagegen meint, dass
wir sie Gay-Lussac (Ann. de Chimie et Phys., T. 8, p. 167) verdanken. Die Erklärung ist jedoch ganz
falsch, denn die beobachtete Potentialsumme ist nicht diejenige des Tropfens und überdies ist die Potential
summe dieses letzteren nicht allein von seiner eigenen Ladung abhängig. Im Gegentheil ist hier die Rede von
der Potentialsumme eines aussenliegenden Punktes, diese ist —, und da Zusammenfliessen keinen einzigen
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r .... ' fl
derWerthe q (Quantum Elektrizität) noch den entsprechenden Radius r ändern kann, so muss auch die Summe- 2
d. h. die Potentialsumme unverändert bleiben. Professor Everett 32 ) hat bereits 1884 in der Ausgabe von
Desclianel’s „Natural Philosopliy“ gezeigt, dass Zusammenfliessen kleinerer Tröpfchen zu grösseren, un
geachtet es die elektrische Dichtigkeit der Oberflächen der Tropfen vergrössert, die Gesammtquantität der
Elektrizität nicht vermehren und deshalb die beobachtete Potentialsumme nicht beeinflussen kann.
Doch es giebt noch mehr. Vermuthlich sind hier Ursache und Wirkung verwechselt, so wie dies manch
mal bei den Erklärungsversuchen der Gewitter-Erscheinungen der Fall ist. Nicht allein, dass Tropfenbildung
keine Elektrizität erregen kann, sondern die Tropfenbildung entsteht durch die Elektrizität. Lord Raleigh
hat gezeigt, dass, wenn eine geriebene Siegellackstange in die Nähe eines kleinen Springbrunnens mit reinem
Wasser gebracht wird, der Strahl auf einmal einschrumpft und das Wasser ähnlich, wie bei einem Gewitter
in grossen Tropfen herunterfällt. Aelmliche Experimente sind auch von Shelford Bidwell 33 ) und
R. von Helmholtz 33 ) gemacht. Erstem - fand, dass die Undurchsichtigkeit des Wasserdampfes zunimmt,
wenn elektrisirte Gegenstände in die Nähe gebracht werden. Die Farbe des Wasserdampfes wird gelbbraun;
durch diese Nuancirung geben sich auch Gewitterwolken, doch hauptsächlich Hagelwolken, kund. Waren die
elektrisch geladenen Gegenstände mit einer Elektrisirmaschine verbunden, dann verschwand die Farbe jedes
mal nach dem Entladungsfunken. Das Absorptionsspektrum zeigte, dass durch die Elektrisirung die meisten
Lichtstrahlen stark vermindert waren, nur die rothen und gelben nicht, und hieraus schliesst Bidwell,
dass die Wassertropfen, welche vorher im Verhältniss zur Wellenlänge klein sind, durch die Elektrizität ver
grössert sein müssen, von Helmholtz kam zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Die auf einer Dampfwolke
reflektirten Lichtstrahlen zeigten, dass durch die Elektrisirung die Wolke kompakter und dunkeier wurde.