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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1896 No. 4
Grunderscheinungen. Ebensowenig ist sein Ausspruch originell, denn bereits Qu et eiet sagte: „Le soleil
semble donc être l’origine principale des phénomènes électriques, qui se manifestent autour de nous.“
Im gleichen Sinne äussert sich Dell manu |,J ): „Der Ursprung der Luftelektrizität ist da zu suchen, wo alle
meteorologischen Erscheinungen entstehen, nämlich in der Erwärmung der Erdoberfläche durch die Sonne."
Derselbe Gedanke wird vermuthlich hei vielen anderen Autoren wahrzunehmen sein. Dennoch hat Mühry’s
Aufsatz das Verdienst, ein Wegweiser zu sein in der Wüste der meistens unfruchtbaren und verwirrenden
Hypothesen. Nachher haben Arrhenius und Wurster und in geringerem Maasse auch Holdinghausen
den Satz: „Insolation ist die unmittelbare Ursache der Luftelektrizität“ ausgearbeitet. Auch die zahlreichen
lleibungstheorien, welche aufsteigende oder verschieden gerichtete horizontale Luftströmungen brauchen,
sind, obschon indirekt, auf Insolation der Erdoberfläche zurückzuführen.
Der Besprechung dieser Theorien mögen noch die vier anderen vorangehen. Die drei ersten, von
Becquerel, Holtz und Siemens, verlegen die Elektrizitäts-Entwickelung gänzlich nach der Sonne.
Becquerel 20 ), welcher anfänglich (1829) einer thermo-elektrischen Hypothese beipflichtete, schreibt
später, auf Grund der spektral-analytischen Untersuchungen über die Natur der Sonne, die Elektrizität der
Reibung zu, welche hei den enormen Wasserstofferuptionen auf der Sonne zwischen dem Sonnenkörper und
dem Wasserstoff stattfindet, Der Wasserstoff wird positiv elektrisch und diese positive Elektrizität wird
mittelst kleiner, in dem ganzen Welträume schwebender Staubtheilchen durch Konvektion zur Erde geführt.
Wo die negative Elektrizität der Sonne bleibt, ist nicht recht deutlich. Die Anwesenheit eines widerstreben
den Mittels im Weltall hat aus astronomischen Gründen grosse Bedenken. Dagegen hat diese Hypothese
den Vortheil, zwischen Gewitter und Sonnenflecken eine Verbindung herzustellen, welche auch durch die Be
obachtungen beider Erscheinungen dargethan wird.
Holtz 21 ) scheint bereits im Jahre 1877 die Luftelektrizität als Induktion der Sonne angedeutet zu
haben. Seine Hypothese ist kurz gefasst folgende. Damit die Sonne nur gleichartige Elektrizität besitzt,
muss eine der erregten Elektrizitäten, sei es die positive oder die negative, durch den Weltraum abge
führt werden; ein Theil dieser Elektrizität erreicht auch die Erde. Die auf der Sonne zurückbleibende
Elektrizität induzirt die Erde. Durch die Influenz erhält unsere Atmosphäre auf der Tagseite die ungleich
namige, auf der Nachtseite die gleichnamige Elektrizität wie die Sonne. Der Mond soll auf gleiche Weise
induzirend wirksam sein. Spannungserhöhung in Folge Zusammcnfliessung der Tropfen verursacht Gewitter.
Diese Hypothese ist auch von Siemens 22 ) ausgearbeitet. Fortwährend soll eine durch Licht und
Wärmestrahlen dissociirte Materie aus dem ganzen Weltraum zu den Polen der Sonne strömen, wo sie ver
brannt wird. Die Verbrennungs-Produkte strömen von den Polen nach dem Aequator, werden dabei kräftig
gerieben und so negativ elektrisch. Die Verbrennungs-Produkte und damit auch die negative Elektrizität
wird durch die Zentrifugalkraft in den Weltraum geschleudert. Die positive Elektrizität bleibt auf der Sonne
zurück und wirkt influenzirend auf die Erde.
Diese drei Erklärungen, wie grossartig sie angelegt sein mögen, besitzen in zu grossem Maasse einen
rein hypothetischen Charakter.
Edlund 2:i ) stützt sich auf die Thatsache, dass durch unipolare Induktion ein elektrischer Strom in
einem Draht oder Hohlcylinder erregt wird, wenn diese Körper um einen in ihm befindlichen Magnet rotiren.
Im Mittelpunkte der Erdmasse nimmt Edlund einen Magnet an, welcher mit der Drehachse einen Winkel
von 17° bildet. Die Erde mit ihrer Atmosphäre dreht sich um diesen virtuellen Magnet, dessen Wirkung
auf ein Theilchen an der Erdoberfläche in zwei Komponenten, eine horizontale und eine vertikale, zerlegt
wird. Die letztere hat die Tendenz, die positive Elektrizität in der Verlängerung des Erdradius, die nega
tive Elektrizität nach unten zu führen. Diese Trennung wird immer schwächer, je nachdem man sich vom
Aequator entfernt und ist schliesslich an den Polen Null. Die erste, die tangentielle Komponente, ist da
gegen an den Polen sowie am Aequator Null und erreicht in mittleren Breiten ein Maximum. Das geringe
Leitungsvermögen der Atmosphäre widerstrebt einer Vereinigung der beiden Elektrizitäten. Eine Anhäufung
der positiven Elektrizität in höheren Luftschichten ist die nothwendige Folge und diese positive Elektrizität
wird theilweise nach höheren Breiten abgeführt. Hier in der Nähe der Erdpole ist die vertikale Komponente
der elektrischen Induktion gering und wird deshalb der Vereinigung der getrennten Elektrizitäten nur geringer
Widerstand entgegengesetzt. Die Vereinigung findet dann auch leicht und kontinuirlich statt und so entsteht
das Polarlicht. In mittleren Breiten und hauptsächlich am Aequator ist dagegen der Widerstand gegen die
Vereinigung der Elektrizitäten gross, deshalb sind hier auch viel grössere elektrische Spannungen nöthig,