Archiv 1894. 6.
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No. 6.
Graphische Tafeln für meteorologische und physikalische Zwecke.
Theorie und Anwendungen.
Von Dr. Hans Maurer ans Darmstadt.
Einleitung.
In vielen Gebieten der messenden Wissenschaften und der Technik stellt sich die Nothwendigkeit heraus,
zahlreiche Rechnungen nach derselben Formel durchzuführen. Unter den verschiedenen Hülfsmitteln, die uns
zur Verminderung dieser Unbequemlichkeit zur Verfügung stehen, werden die graphischen Tafeln anscheinend
viel weniger benutzt, als es ihrer Brauchbarkeit entspricht. Wohl in den meisten Fällen kommen Zahlen
tabellen zur Verwendung; in der That verdienen diese auch, wenn es sich um Funktionen einer einzigen
Variabelen handelt, in der Regel den Vorzug. Hier wird man eine graphische Darstellung der Funktion
durch eine Kurve hauptsächlich dann wählen, wenn man die Art der Abhängigkeit erst kennen lernen will,
da deren Verlauf für das ganze Gebiet der Variabelen in dem Kurvenzug mit einem Blick überschaut werden
kann. Auch dann empfiehlt sich eine graphische Abbildung, wenn die Schwankungen der Funktion nicht
gross aber sehr unregelmässig sind (Kurven von Registrirapparaten z. B. für Lufttemperatur als Funktion
der Zeit), weil die Zeichnung eine viel grössere Anzahl von Funktionswerthen ablesen lässt, als es eine
Zahlentabelle auf gleichem Raum gestattet. Um aus einer Zahlentabelle zu jedem Werth der unabhängigen
Variabelen den Funktionswerth zu entnehmen, muss man interpoliren, und da jede andere als die lineare
Interpolation wegen der Unbequemlichkeit der Rechnung ausgeschlossen ist, so muss man von einer guten
Tabelle verlangen, dass die angegebenen Variabelen-Intervalle klein genug sind, um eine fehlerfreie Inter
polation zu ermöglichen. Bei graphischen Tafeln muss aus demselben Grunde der Maassstab hinreichend
gross sein.
Für Tabellen, welche Funktionen zweier Variabelen darstellen, muss ebenfalls die Zulässigkeit linearer
Interpolation verlangt werden. Damit eine solche Tabelle praktischen Werth erlangt, muss sie aber ausser
dem noch einer anderen Bedingung Genüge leisten, die sich aus der folgenden Betrachtung ergiebt. Um
den Funktionswerth /(xjy) für ein Werthepaar der unabhängigen Veränderlichen x, y aus der Tabelle zu
entnehmen, sind eigentlich drei Interpolationen nöthig; man interpolirt nämlich nach x bei zwei benach
barten in der Tabelle angegebenen Werthen von y und dann zwischen den Interpolations-Resultaten nach
y, wie jedes Exempel direkt erkennen lässt. Man bestimme z. B. aus der folgenden kleinen Tabelle den
Werth der Funktion
f(x/y) — 19 xy + lOx—18 ?/ Ihr x — 3.7, y = 1.4.
x = 1
x — 2
x = 3
x — 4
II
o
10
20
30
40
y = i
11
40
69
98
V = 2
12
60
108
156
y = 3
13
80
147
214
In dieser Tabelle sind bei jedem einzelnen angegebenen Werthe von y die Intervalle der Funktions-
werthe für die auf einander folgenden aequidistanten Werthe von x konstant, ebenso bei jedem angegebenen
Werthe von x diejenigen für die auf einander folgenden aequidistanten Werthe von y. Die lineare Inter
polation führt also genau zum richtigen Resultat; aber die Rechnung wird sehr komplizirt. Man muss hier
die oben erwähnten drei Interpolationen wirklich ausführen, weil bei zwei auf einander folgenden konstanten