Dr. Gi'ossmaim: Ueber die Anwendung der Bessel’schen Formel in der Meteorologie etc.
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unbestimmtesten Form anzuwenden vermöge. Die hier hervortretende Aufgabe, das hei der graphischen
Interpolation mit Hilfe der Anschauung Geleistete begrifflich zu fixiren und damit für die analytische ein
möglichst rationell begründetes Prinzip zu schaffen, löst Schmidt als Beispiel bei dem Probleme der Ent
wicklung einer periodischen Funktion aus n äquidistanten Beobachtungen, indem er die Bedingung einführt,
dass das
Л d 2 1/\ 2
2') d x fibr das ganze Intervall der Interpolation ein Minimum sein, die den Verlauf
der Funktion darstellenden Kurve also eine möglichst geringe und gleichmässige Krümmung besitzen solle.
Dem Verfasser scheint indess die Annahme jenes Prinzips des einfachsten Verlaufes an sich eine grosse
Willkür, die sich bereits bei dem Zeichnen der Kurve aus den Funktionswerthen fühlbar macht und nicht
weniger dürfte eine weitere Willkür in jeder analytischen Fassung des Prinzips zu suchen sein, sodass auf
diesem Wege, auch nach Schmidt, Willkür ebenso wenig auszuscldiessen ist, wie auf dem Wege der Be
schränkung der Beihe auf endliche Gliederzahl.
Die aus n äquidistanten Beobachtungen berechneten werden also ebenso wie die jene
aus den Integralwerthen, diese aus den Formeln 4) hergeleitet, mit Fehlern behaftet sein, wobei die letzteren
Werthe ungleich schneller zu ermitteln sind. Bei Nicht-Aequidistanz der Beobachtungen findet wohl meist
das Gegentheil statt, falls überhaupt die Kurve in ihrem Verlauf ohne merkliche Unsicherheit gezeichnet
werden kann.
Für die Praxis kommt weniger die Frage in Betracht, welche Art der Koeffizienten die genaueren
Werthe a k b k der wahren Beihe darstellen, als die Frage, ob die für äquidistante Beobachtungen in ein
facher Weise abzuleitenden Koeffizienten hinreichend genau erhalten werden, um dem Zweck der
Bessel’schen Beihe zu genügen, wobei in zweiter Linie zu berücksichtigen wäre, ob die angestrebte grössere
Genauigkeit der Koeffizienten überhaupt mit der Ungenauigkeit der Beobachtungen vereinbar sein würde.
Hier ist es wesentlich, die beiden Aufgaben, denen die Bessel’sche Formel dienen soll, auseinander
zu halten. Schmidt definirt diese treffend als: einerseits die Darstellung des Beobachtungs - Materials in
einer zur Ausführung theoretischer Untersuchungen geeigneten Form und damit die Ableitung der Gesetze
der Erscheinungen, andererseits die Ergänzung und Verbesserung unvollständiger und imgenauer Erfahrungs
daten durch Interpolation und Ausgleichung, wozu insbesondere auch die Bestimmung der Lage und Grösse
der Extreme wie die Ableitung des Mittelwerthes aus nicht-äquidistanten Beobachtungen zu rechnen sind.
Die Ermittlung der Lage der Extreme mittels der Bessel’schen Formel ist mit relativ grösserer Un
sicherheit behaftet, da diese Lösung sich auf den ersten Differential-Quotienten stützt, in welchem die an
sich mehr imsicheren höheren Glieder mit ihrem Index entsprechendem Geivicht belastet auftreten. Uebrigens
ist die graphische Bestimmung des Eintritts der Extreme auch mit besonderer Unsicherheit verbunden, da
die Krümmung der Kurve in der Umgebung der Wendepunkte vielfach eine relativ geringe ist, und somit
dürfte ein klares Urtheil aus dem Vergleich der auf verschiedenem Wege abgeleiteten Zeitpunkte der Extreme
nicht leicht zu gewinnen sein.
Ueber die Brauchbarkeit der Bessel’schen Formel zur Interpolation nicht beobachteter Werthe dürfte
ein generelles Urtheil nicht zu fällen sein, ausser dass die Güte der Formel zunehmen wird, je genauer
die beobachteten Werthe sind, je grösser ihre Zahl und je gleichmässiger sie über die ganze Periode ver
theilt sind, und je mehr die höheren Koeffizienten an Grösse gegen die ersten Koeffizienten zurücktreten.
Im einzelnen Fall wird man sich häufig leicht ein Urtheil über die Güte der Interpolation bilden können.
Leitet man beispielsweise bei gegebenen 24stlindlichen Werthen die BessePsche Formel für die 12 graden
Stunden ab und findet, dass diese Formel durch Interpolation die Mittel der 12 ungraden Stunden inner
halb der Genauigkeit der Beobachtung übereinstimmend mit den beobachteten Werthen ergiebt, so wird
der Schluss nahezu gesichert erscheinen, dass die aus den 24 Stundenmitteln berechnete Formel den
Ansprüchen der Interpolation genügen wird.
Indess darf gewiss behauptet werden, dass die eben besprochenen Aufgaben wesentlich den Jugend
jahren der Bessel’schen Formel angehörten, dass diese in ein reiferes Alter eingetreten ist und heute
höheren Zwecken zu dienen hat, nämlich, wie angegeben, als Hülfsmittel zu theoretischen Untersuchungen
über die Gesetze der Erscheinungen auftritt. Die trigonometrischen Beihen zerlegen den periodischen
Gang in Partialschwankungen, welchen vielfach eine selbständige Bedeutung zukommt, indem die einzelnen
Glieder der Beihe partikuläre Integrale von Differentialgleichungen darstellen.