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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1S94 Ko. 3 —
C. Mehr als zwei Höhen beobachtet.
§ 14. Drei Höhen beobachtet. Wenn drei Höhen gemessen sind, so werden die aus ihnen nach den
beiden Regeln von g 3 abgeleiteten drei Standlinien sich nur dann in einem einzigen Punkte, dem Schiffs
orte, schneiden, wenn die Beobachtungen fehlerfrei sind. Da dies nicht zu erwarten ist, vielmehr gerade
in denjenigen Fällen, wo mehrere Gestirne zur Verfügung stehen, also des Nachts, die Unsicherheit in der
Auffassung der Kimm grössere oder kleinere Fehler in den Höhen nach sich zieht, so kann man auch
nicht darauf rechnen, dass alle drei Standlinien durch einen und denselben Punkt gehen, sondern es wird
im allgemeinen von ihnen in der Karte ein Dreieck gebildet werden, und es kommt dann darauf an, den
wahrscheinlichsten Schiffsort zu ermitteln, welcher nach der Lage dieses Dreiecks zu erwarten ist.
Wenn man annehmen darf, dass die drei Höhen mit demselben Fehler behaftet sind, ist der wahr
scheinlichste Schiffsort derjenige Punkt, welcher von den drei Dreieckseiten gleichen Abstand hat. Diese
Bedingung erfüllen, wie nebenstehende Figur 17 zeigt, im allgemeinen
bei jedem Dreiecke vier verschiedene Punkte, nämlich ausser dem Mittel
punkte M x des eingeschriebenen Kreises noch die durch Halbirung der
Aussenwinkel entstehenden Punkte M v M 3 und M r Welcher von diesen
vier Punkten im speziellen Falle zu nehmen ist, hängt von dem Azimute
der beobachteten .Gestirne ab. Für die Praxis ist in diesem Falle
dringend zu empfehlen, die drei Gestirne so auszuwählen, dass
die Beobachtungen sich ziemlich gleichmässig über den Horizont ver-
tlieilen, d. li. dass der Azimutunterschied annähernd je 120° beträgt.
In diesem Falle wird das von den Standlinien gebildete Dreieck mehr
oder weniger gleichseitig, und die Voraussetzung gleicher Fehler bei
allen Höhen führt dann stets zur Konstruktion des Mittelpunktes des
eingeschriebenen Kreises.
Wenn diese Voraussetzung dagegen nicht erfüllt ist — und dies wird namentlich dann der Fall sein,
wenn die unter dem Horizonte stehende Sonne den über ihr befindlichen Theil der Kimm mehr beleuchtet
und daher schärfer hervorhebt, als an anderen Stellen — so kann man die Verschiedenheit der Höhen
fehler bei der Konstruktion des wahrscheinlichsten Schiffsortes dadurch berücksichtigen, dass man nach
dem Augenmaass im Innern des Dreiecks einen Punkt so auswählt, dass seine Abstände von den drei Stand
linien den geschätzten Fehlern der zugehörigen Höhen proportional ist. Hierbei ist allerdings angenommen,
dass die Vorzeichen der Fehler bei allen drei Höhen dieselben sind; indessen ist diese Annahme um so
eher gerechtfertigt, da ein Theil des Höhenfehlers (Unsicherheit der Kimmtiefe, Instrumentalfehler und in
dividuelle Auffassung der Deckung von Stern und Kimm) zu den sogenannten konstanten Fehlern gehört
und somit alle Höhen in demselben Sinne fälscht.
Fig. 11.
Wenn z. B. in nebenstehender Figur 18 die drei Standlinien auf drei
Höhenbeobachtungen von Wega, Altair und Fomalhaut beruhen, deren Un
sicherheit man bei Wega auf etwa 3', bei Fomalhaut auf 4' und bei Altair
auf 6' schätzt, so darf man 0 als den wahrscheinlichsten Schiffsort ansehen,
weil seine Abstände von den Standlinien sich verhalten wie die geschätzten
Fehler der zugehörigen Höhen.
Auch hier gilt für die Praxis
§ 15. Mehr als drei Höhen beobachtet.
die Vorschrift, die Gestirne möglichst mit gleichem Azimutunterschied aus
zuwählen. Da diese Forderung in Wirklichkeit nie streng erfüllt sein wird,
so wird man von der Figur der Standlinien in der Karte auch nicht er
warten dürfen, dass die von je zwei benachbarten Linien gebildeten Winkel
einander gleich sind, und dies wird um so mehr der Fall sein, je mehr Höhen
beobachtet sind, weil die Erfüllung obiger Forderung mit jeder Vergrösserung
der Höhenanzahl schwieriger wird. Es ist Idar, dass auch die Ermittelung des wahrscheinlichsten Schiffs
ortes bei einer grösseren Anzahl von Standlinien durch Konstruktion in der Karte mehr und mehr dem
Anwendungsgebiete des geometrischen Konstruktions-Verfahrens entrückt wird und Gegenstand des Ge
schmackes wird. Indessen werden die Grenzen der Willkür auch hier bis zu einem gewissen Grade dadurch