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XI. Lage und Bedeutung der kontinentalen Axe bei den einzelnen Zugstrassen.
Auf den mittleren Luftdruck-Karten sind die Orte, welche den höchsten Luftdruck für die betreffende
geographische Länge aufweisen, durch eine Linie mit einander verbunden, so dass dieselbe also den Rücken
höchsten Luftdruckes darstellt, welcher den mittleren Wirkungskreis der Depressionen nach Süden hin
begrenzt. Diese Linie ist deswegen von hoher Wichtigkeit, weil sie im Allgemeinen das Gebiet der westlichen
und südwestlichen Winde, die den Transport ozeanischer Luft über unseren Kontinent vermitteln, von
demjenigen der östlichen kontinentalen Winde abscheidet. Wie unsere Karten nachweisen, liegt dieselbe
bei Zugstrassen I—III durchschnittlich nordost- oder ostnordostwärts gerichtet über Südeuropa, die Alpen
gegend durchschneidend, im Winter südlicher als im Sommer, bei Zugstrasse IV hat sie sich weit
südostwärts über das Schwarze Meer hinaus zurückgezogen. — Hierin liegt der Grund, warum das See
klima soweit in den europäischen Kontinent vorrückt, warum unsere Winter so mild und unsere Sommer
so gemässigt sind.
XII. Temperatur-Vertheilung für die einzelnen Zugstrassen. Folgerungen hieraus.
Die nachfolgende Tabelle giebt die mittlere Temperatur-Vertheilung für die einzelnen Zugstrassen,
sowie die Abweichungen der Temperatur von der Normalen.
Auch aus den Karten der mittleren Temperatur-Vertheilung, welche auf Grundlage der obigen Tabelle
konstruirt sind, spricht sich eine innige Beziehung der Fortpflanzungs-Richtung der Depressionen zu
den Isothermen aus. Ziehen wir nach dem Gebiete niedrigster Temperatur auf die dichtest gedrängten
Isothermen eine Normale, so bezeichnet diese Linie die Richtung, nach welcher in der Umgebung der
Depression die Temperatur am schnellsten abnimmt, und diese bildet mit der Fortpflanzungs-Richtung
der Depressionen einen Winkel, welcher zwischen 45° und 90° liegt, so dass also die höchste Temperatur
zur rechten Hand der Bahn liegen bleibt. Durchschnittlich kommt dieser Winkel einem rechten ziemlich
nahe, insbesondere in der wärmeren Jahreszeit, in welcher die Temperatur-Vertheilung in Bezug auf die
Fortpflanzung der Depressionen die Hauptrolle spielt. Eine genauere Bestimmung dieses Winkels, der ja
auch von der jeweiligen Luftdruck- Vertheilung abhängt, werde ich erst später an der Hand eines reicheren
Materials vornehmen.
Auch dieser Satz wurde im Jahre 1872 von Clement Ley in der oben erwähnten Schrift mit den
Worten ausgesprochen: „Die Fortpflanzungs-Richtung der Depressionen schwankt in Westeuropa gewöhnlich
zwischen NNE und SSE und ist primär abhängig von der allgemeinen vorhergehenden Vertheilung der
Temperatur, indem jedes Depressionsgebiet die Neigung hat, mit einem Winkel von etwa 45° gegen die
niederen Isothermen fortzuschreiten.“
Nebenbei wollen wir noch an dieser Stelle das Resultat einer Arbeit des Lieutenant Maydell
erwähnen, welche im Jahre 1874 dem Petersburger telegraphischen Bulletin beigefügt wurde. Derselbe
fand auf Grundlage eines zwei Jahre umfassenden Materials, dass die Sturmbahn des folgenden Tages einen
bestimmten Winkel bildet mit der Verbindungslinie zwischen dem Orte des barometrischen Minimums und
dem Ort der grössten Erwärmung in den letzten 24 Stunden (d. h. links von der genannten Verbindungs
linie gerechnet). Wenn das Stufmzentrum über Skandinavien lag, so betrug dieser Winkel im Mittel für
den Winter 62° (kleinster 84°, grösster 90°), für den Sommer 58° (kleinster 30°, grösster 110°); befand
sich das Minimum in Finnland, so ergab sich als mittlerer Winkel für den Sommer 67° (kleinster 40°,
grösster 87°). Wir erwähnen diese Arbeit deshalb, weil das Resultat in einem gewissen Zusammenhang
steht mit unseren Darlegungen.
Eine Durchsicht unserer Karten der mittleren Temperatur-Vertheilung für die einzelnen Zugstrassen
überzeugt uns in befriedigender Weise von der Richtigkeit unseres oben ausgesprochenen Satzes: bei allen
Zugstrassen finden wir ihn durchweg bestätigt. Am meisten markirt ist derselbe in der wärmeren Jahres
zeit, wo die Wärme Verhältnisse in Bezug auf Fortpflanzung der Depressionen die Hauptrolle spielen, während
in der kälteren die Luftdruck-Vertheilung als das wichtigste Moment in den Vordergrund tritt.