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kann ausserdem das erwartete Resultat durch andere mitwirkende Umstände getrübt werden. Der Gradient
ist ja in hohem Grade abhängig von der Reibung und von der Krümmung der Windbahn, und es wurde be
reits im Theil I, pag. 22, darauf hingewiesen, dass die gewiss vorherrschend anticyklonale Krümmung unserer
Nordostwinde im Gegensatz zu der überwiegend cyklonalen der Westwinde theilweise wenigstens den Unter
schied der Gradienten beider Strömungen erklären werde. In fast demselben Sinne könnte die verschiedene
Reibung wirken, deren Zunahme, bei gleichförmiger Bewegung, gleichzeitig eine Abnahme des Ablenkungs
winkels und eine Verstärkung des Gradienten (für dieselbe Windgeschwindigkeit) zur Folge hat (vergl.
Theil I, pag. 22); doch würden aus dieser Ursache eher die Nordnordwest- und Südsüdostwinde in ein
gegensätzliches Verhältniss treten müssen. *)
Man sieht aber, dass es an Momenten zur Erklärung der „Gradient-Windrose“ durchaus nicht fehlt,
und man würde sich vielleicht kaum veranlasst fühlen, die Insolation hierbei als wichtigen Faktor zu be
trachten, wenn das Verhältniss iv:G (Wind-Geschwindigkeit durch Gradient) nicht auch eine jährliche Periode
zeigte. **) Diese kann auf eine verschiedene Krümmung der Windbahn wohl nicht zurückgeführt werden,
die Reibung aber würde eher das Gegentheil von dem hervorrufen, was die Erfahrung lehrt, denn der
Reibungskoeffizient der Luft wird mit steigender Temperatur grösser. Von Clement Ley ist darauf hin
gewiesen worden, dass die sommerliche Belaubung der Bäume einen Einfluss auf das Verhältniss iv.G aus
üben werde; aber auch dieser Einfluss würde, wie dieser Forscher selbst erkennt, in dem entgegengesetzten
Sinne wirken und im Sommer jenes Verhältniss vergrössern müssen, während sich für die britischen
Inseln und die deutsche Küste übereinstimmend das Gegentheil herausstellt.
Es ist übrigens zu erwarten, dass sich der Einfluss der Bewölkung anf das Verhältniss w: G viel deut
licher ergeben würde, wenn man die Karten von 2 Uhr Nachmittags, anstatt von 8 Uhr Morgens, als
Grundlage für die Bestimmung desselben benutzen könnte. Auf der Seewarte werden zwar auch diese ent
worfen, doch steht hierfür kein annähernd so vollständiges Material, wie für die Morgenkarten, zu Gebote.
Insofern man berechtigt ist, den Gradient als von der Tageszeit unabhängig zu betrachten, kann man
aber das Verhältniss w:G für irgend eine Stunde des Tages indirekt mit Hülfe der täglichen Periode der
Windgeschwindigkeit bestimmen, und es würde somit sehr lehrreich sein, für eine und dieselbe Windrichtung
den Gang der Windgeschwindigkeit an heiteren und trüben Tagen zu berechnen und gleichzeitig die Gra-
dientwerthe vom Morgen dieser 2 Tagesgruppen zu ermitteln. Hierzu erweist sich aber das mir zu Gebote
stehende Material noch nicht ganz hinreichend, denn man findet nur wenige ganz trübe Tage mit nord
östlichen, und heitere Tage mit südwestlichen Winden, zumal hei dieser Untersuchung auch noch die
Anforderung gestellt werden müsste, dass das Tagesmittel der Windstärke iür trübes und heiteres Wetter
annähernd gleich gewählt werde.
Um indessen doch noch Einiges zur Lösung der vorliegenden |Frage beizutragen und gleichzeitig — im
Gegensatz zu dem oben (Tabelle IX) mitgetheilten Versuche, betreffend die Periode der Windgeschwindig
keit an sehr ruhigen Tagen mit unbestimmter Druckvertheilung — die praktisch sehr wichtige Frage zu
beantworten, in welchem Grade die Periode der Windgeschwindigkeit an der deutschen Küste bei starken
Winden entwickelt ist, wählte ich einerseits 20 heitere Tage mit starkem. Nordostwind aus den April
monaten der Jahre 1877 und 1878, und andererseits 162 vorwiegend trübe Tage mit starken westlichen
Winden aus allen Monaten dieser Jahre (mit Ausnahme der Sommermonate); und zwar wurden die ane-
mometrischen Registrirungen der 5 Stationen: Borkum, Hamburg, Keitum, Swinemünde und Neufahrwasser
zu Mittelwerthen vereinigt, so dass das gesammte, zur Verwendung gekommene Material für östliche Winde
auf 100, für westliche auf 810 Tage zu veranschlagen ist.
*) Nach Herrn Kapt. Hoflmeyer (Oesterr. Zeitschr. Bd. XIII, pag. 338) hat der Winkel a, um welchen die Richtung
der Luftbewegung von der des Gradienten nach rechts abweicht, für Dänemark folgende Werthe:
Windrichtung: NzW NEzN ENE EzS SEzS SSW WSW NWzW Mittel
Ablenkungs-Winkel a: 7772° 7472° 6772 ° 61° 60V 2 ° 65 7 2 ° 7P/2 0 7 5 72 ° 69"
**) Nicht ganz ohne Einfluss ist vielleicht der Umstand, dass der Termin 8 h Morgens im Sommer ein anderes Stadium
der täglichen Windstärke-Periode repräsentirt, als im Winter. Von Clement Ley ist indessen nachgewiesen, dass
dieser Umstand nicht genügt, um den ganzen Unterschied im Winter und Sommer zu erklären.