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Studien über den Wind und seine Beziehungen zum Luftdruck
Von
Dr. A. Sprung.
Assistent an der Deutschen Seewarte.
I. Zur Mechanik der Luftbewegungen.
Einleitung.
Seit Jahrhunderten ist die Thatsache bekannt, dass die Winde der tropischen Zonen breiten Luft
strömen angehören, welche in unveränderter Richtung mit ausserordentlicher Regelmässigkeit das ganze Jahr
oder Jahreszeiten hindurch anhalten. Diese Beständigkeit der Passate und Monsune, und das Bestreben,
Analogien zwischen den Strömungen der Atmosphäre und denen der Oceane aufzufinden, lässt es begreiflich
erscheinen, dass trotz der sprichwörtlich gewordenen Veränderlichkeit von Wind und Wetter in höheren
Breiten auch hier nach grossen Strömungen, welche mit jenen der Passatregionen in irgend einem Zusam
menhänge ständen, eifrig gesucht wurde, wobei der Mangel an unmittelbarer Anschauung vielfach zu
Irrthümern führen musste. Weit und geistreich ausgebaut ist die Hypothese der zwei entgegengesetzt
gerichteten Luftströme, welche gewissermaassen das Gerüst der Luftbewegung in mittleren und höheren
Breiten bilden und in wechselnder Herrschaft unserem Wetter seinen unbeständigen Charakter verleihen.
Wie schon 1735 von Hadley *) die Erklärung der ost-westlichen Richtung der Passate, welche
Herschel als „otherwise inexplicable“ bezeichnet, in dem Einflüsse der Erdrotation auf die in nord-süd
licher Richtung sollieitirten Luftmassen gefunden wurde, so knüpft sich später an jene Hypothese des Polar-
und Aequatorialstromes diejenige Vorstellung von dem Wesen der Ablenkung der Winde durch die Erdrotation,
welcher Dove in seiner Begründung des Drehungsgesetzes in folgenden Worten Ausdruck giebt: **)
„Die Eotationsgeschwindigkeit der einzelnen Punkte der Erdoberfläche verhält sich wie die Halb
messer der Parallelkreise, unter welchen sie liegen; sie nimmt also zu von den Polen, wo sie Null ist, bis
zum Aequator, wo sie am grössten ist. Im Zustande der Ruhe nimmt die Luft Theil an der Drehungs
geschwindigkeit des Ortes, über welchem sie sich befindet. Wenn sie daher durch Temperaturdifferenz
oder irgend eine andere Lfrsaehe ein Bestreben erhält, in einem Parallelkreise zn fliessen, so wird die
Drehung der Erde durchaus keinen Einfluss auf sie äussern, weil die Punkte der Oberfläche, zu welchen
die Lnft gelangt, genau dieselbe Drehungsgeschwindigkeit besitzen, als die Punkte, die sie verlassen
hat. Wird aber Luft durch irgend welche Ursache von den Polen nach dem Aequator getrieben, so kommt
sie von Orten, deren Umdrehungsgeschwindigkeit gering ist, nach Orten, an welchen sie grösser ist. Die
Luft dreht sich also dann mit einer geringeren Geschwindigkeit nach Osten, als die Orte, mit welchen sie
in Berührung kommt, sie scheint daher nach der entgegengesetzten Richtung, d. h. von Ost nach West zu
fliessen. Die Ablenkung des Windes von seiner ursprünglichen Richtung wird um so grösser sein, je
mehr sich bei gleichbleibender fortrückender Bewegung die Drehungsgeschwindigkeit des Ausgangspunktes
von der Drehungsgeschwindigkeit des Ortes, an welchem der Wind anlangt, unterscheidet, d. h. je grösser
der Unterschied der geographischen Breite beider Orte ist. Daraus folgt:
1) auf der nördlichen Halbkugel gehen Winde, welche als Nordwinde auftreten, hei dem allmäligen Fort
rücken durch Nordost immer mehr in Ost über;
2) auf der nördlichen Halbkugel geht ein südlicher Wind bei seinem Fortschreiten allmälig immer mehr
durch SW in W über.“
Eine ganz ähnliche Darstellung der allgemeinen Strömungen der Atmosphäre finden wir in „Les
mouvements de l’atmosphere et des mers“ von Marie Davy (1866); über den Einfluss der Erdrotation
auf diese Strömungen sagt er pag. 118 und 119 Folgendes:
*) Philosoph. Transactions from 1732 to 1744, abridged, Vol. YIII and IX, pag. S00.
**) Meteorologische Untersuchungen, Seite 126.
Archiv. 1879. 1.
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