Defant, A.: C. G. Rossby, Dynamik station, ozean. Ströme im Lichte der experim., Stromlehre. 59
Inhalts veröffentlicht, die an den scheinbar festgefügten Grundlagen unserer
Anschauungen über die Ursachen und den Aufbau der ozeanischen Strömungen,
insbesondere der ozeanischen Zirkulation rüttelt und von dem etwas deprimierenden
Satz ausgeht, daß 35 Jahre intensiver theoretischer Arbeit auf Grundlage des
Axioms, daß die Wasserbewegungen im Ozean, abgesehen von den Windtriften,
von drei Kräften, dem horizontalen Druckgradient, der ablenkenden Kraft der
Erdrotation und der Reibungskraft resultierend aus der relativen Bewegung
gegenüber unterlagernden Schichten, beherrscht werden, nicht imstande war,
eine Theorie hervorzubringen, die die Hauptzüge der beobachteten ozeanischen
Zirkulation unter der reinen Windtriftschicht zu erklären vermag. Dieser re-
signierte Standpunkt Rossbys mag in einzelnen Punkten seine Berechtigung
haben, er hilft uns auch über die vielleicht bei manchen vorhandene etwas über-
hebliche Ansicht hinweg, als ob unsere theoretischen und praktischen Kenntnisse
der ozeanischen Bewegungen in den meisten Punkten groß und fest untermauert
wären: aber in der vernichtenden Kritik möchte ich doch nicht so weit wie
Rossby gehen, Damit man seine neuen Anschauungen richtig verstehen und
beurteilen kann, ist es angebracht, sie etwas kritisch zu beleuchten und zu
analysieren, was der Allgemeinheit zum Nutzen im folgenden geschehen soll.
Es ist richtig, daß in den Grundelementen der Theorie der beständigen
Strömungen im Ozean und auch in der Atmosphäre die Möglichkeit fehlt, im
Innern der betrachteten Medien Kräfte zu finden, die imstande sind, horizontale
Konvergenzen oder Divergenzen von einer Stärke, wie sie in der Natur vor-
kommen, hervorzurufen, Der theoretische Gradientwind ist frei von jeglicher
Divergenz und ist bekanntlich nicht in der Lage, den bei zyklonischer Bewegung
von der Reibung am Erdboden bedingten Lufitransport quer zu den Isobaren
zum niedrigen Luftdruck hin zu kompensieren. Es erscheint dadurch schwierig
zu verstehen, wie die in Tiefdruckwirbeln unten akkumulierte Luft wieder weg-
geschafft wird, ohne daß eine rasche Auffüllung und dadurch ein Zerfall der
Tiefdruckgebiete entstehen. Aber gerade bei okkludierten Zyklonen höherer
Breiten und bei Zyklonen niedriger beobachtet man häufig Verhältnisse eines
angenähert dynamischen Gleichgewichts.
Nicht anders steht es bei den horizontalen ozeanischen Zirkulationen. Der
Gradientstrom ist frei von horizontaler Divergenz und nicht imstande, das ein-
mal gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen. Das System des Elementar-
stromes, das in W. Ekmans klassischer Theorie der Strömungen!) in einem
homogenen Ozean die Grundlage bildet, ist nur durch die Tatsache möglich,
daß der in der Richtung cum sole gehende Wassertransport der oberflächlichen
Windtrift durch den von der Bodenreibung erzwungenen Bodenstrom in der
Richtung contra solem kompensiert wird. Die an der Oberfläche auftretende
Konvergenz des Oberflächenstromes wird durch die Divergenz des Bodenstromes
aufgehoben und stationäre Zustände sind möglich. Aber diese Annahme ver-
langt, daß die Bodenreibung von derselben Größenordnung ist, wie die Turbulenz-
reibung der Windtrift in den Oberflächenschichten; dies erscheint aber bei den
sehr kleinen Geschwindigkeiten der Bodenströme, wenn sich überhaupt solche aus-
bilden, fast unmöglich. Gegen die Anwendbarkeit der Ekmanschen Annahmen
spricht auch die Tatsache, daß der vertikale Aufbau des Meeres gerade in den
obersten Teilen stark geschichtet ist, und die großen winderzeugten Strömungen auf
diese oberen, etwa 100 bis 200 m mächtigen Schichten der Troposphäre beschränkt
sind. Die starken Konvergenzen und Divergenzen fallen im Ozean auf diese aller-
obersten Schichten, die weit mächtigeren Schichten der Stratosphäre sind fast frei
davon. W.Ekman hat natürlich alle diese Schwierigkeiten selbst schon erkannt?)
und auch versucht, ihrer, soweit es geht, Herr zu werden; er betrachtet die Prozesse
nicht mehr als völlig stationär, nimmt nun auch die Trägheitskräfte hinzu, aber
es läßt sich kaum behaupten, daß dadurch, ohne die früher erwähnten Schwierig-
keiten völlig zu beheben, die Verhältnisse klarer und durchsichtiger würden.
1) V. W. Ekman: Meeresströmungen. Handbuch der phys. u.. techn. Mechanik. Hrsg. von
Auerbach u. Hort, Bd. 5, 8. 196 oder A survey of some theoretical investigations on ocean-currents.
Journ. d, cons. intern. pour N de la mer. Bd. 3, No. 3, 1928, — 2) Siehe z. B. A. Defant:
Dynamische Ozeanographie, Berlin 1929, S. 87.