Dietrich, G.: „Die dyn, Bezugsfläche“, ein Gegenwartsproblem der dyn. Ozeanographie. 509
hier an einem Beispiele die gute Übereinstimmung zwischen einem beobachteten
und einem dynamisch berechneten Geschwindigkeitsprofil aufgezeigt wurde. Diese
Übereinstimmung konnte aber nur erzielt werden, indem der dynamischen Be-
rechnung eine aus direkten Beobachtungen abgeleitete Bezugsfläche („Nullschicht“‘)
zugrunde gelegt wurde.
Im offenen Ozean bleiben wir heute einzig und allein darauf angewiesen,
indirekt aus dem hydrographischen Aufbau auf verhältnismäßig schwach bewegte
Schichten zu schließen. Da dieser Rückschluß nur in den seltensten Fällen, wie
noch gezeigt werden soll, eindeutig vorgenommen werden kann, wird zugleich
die Durchführbarkeit der absoluten Methode stark eingeschränkt. Aber gleich-
gültig, ob man die dynamische Bezugsfläche für die absolute oder eine relative
dynamische Topographie aus dem Aufbau definiert, man wird stets die Erfah-
rung machen, daß die Bezugsfläche nicht horizontal bleibt, sondern mit dem
Aufbau Höhenänderungen unterliegt, die im Bereich starker Druckströme
beträchtliche Ausmaße erreichen können. Die Erfahrung kommt nicht über-
raschend, sie ist sowohl aus den theoretischen Grenzflächenbetrachtungen von
A. Defant®) zu erwarten, wie sie auch durch die Schiefstellung der beobachteten
Bezugsfläche im Floridastrom eine Bestätigung findet. Jedenfalls liegt in der
Erkenntnis der Tiefenänderungen der dynamischen Bezugsfläche ein weiterer
gewichtiger Einwand, der gegen den Wert der quantitativen Folgerungen nach
der bisher meist üblichen Methode einer horizontalen „Nullfläche“ erhoben
werden kann.
Solange man sich mit der Ermittlung eines qualitativen Bildes des inneren
Bewegungsfeldes begnügt, ist es im wesentlichen gleichgültig, welche Fläche man
als dynamische Bezugsfläche zugrunde legt und ob man sie die Tiefenände-
rungen im hydrographischen Aufbau mitmachen läßt oder nicht. Das gilt be-
sonders im Bereich starker Druckströme, Sehr schön verdeutlichen diese Tat-
sache die bekannten Karten der dynamischen Topographie der Meeresoberfläche
relativ zu verschiedenen Isobarenflächen von B. Helland-Hansen*) im Nord-
atlantischen Ozean. Gleich ob die 200-, 400-, 1000- oder 1400-d-bar-Flächen als
Bezugsflächen gewählt sind, das Golfstromsystem tritt in jeder Karte im gieichen
Gebiet durch die starke Drängung der Isolinien hervor.
Sobald man über diese vorwiegend qualitative Betrachtung hinaus zu den
quantitativen Fragen der absoluten dynamischen Topographie vordringt und die
tatsächlichen Geschwindigkeiten und transportierten Wassermengen auf Grund
der hydrodynamischen Gesetze berechnen will, muß man dagegen zu dem ent-
scheidenden Problem der Festlegung der dynamischen Bezugsfläche Stellung
nehmen, Dieses Problem läuft nach der bisherigen Auffassung, wie gezeigt
wurde, zur Zeit darauf hinaus, mit Hilfe des hydrographischen Aufbaus eine
verhältnismäßig schwach bewegte Schicht im Ozean zu bestimmen.
Wenn man aber von diesen allgemeinen Erwägungen an eine praktische
Untersuchung eines Ozeanraumes herantritt, stößt man sehr bald auf eine
Schwierigkeit, die eine Entscheidung in einer grundsätzlichen Frage der Wahl
der dynamischen Bezugsfläche und damit eine Stellungnahme zum Ziele der
dynamischen Berechnung fordert. Der hydrographische Aufbau erlaubt nicht,
wenigstens nicht in den meisten Fällen, eindeutig auf schwach bewegte
Schichten zu schließen. Er gestattet nur, Grenzschichten im vertikalen Aufbau
zwischen zwei Zirkulationsgliedern zu ermitteln, Die Bewegungen dieser Zirku-
lationsglieder können in einer Region in einem beliebigen Winkel zueinander-
laufen, sie können also gleichgerichtet als auch gegeneinander gerichtet sein. Nur
in diesem letzten Falle wird eine verhältnismäßig geringe und unausgeprägte
Bewegung in der Grenzschicht zu erwarten sein, Verhältnisse, die aber auch
nur räumlich begrenzt zu gelten brauchen; denn es ist sehr wohl denkbar, daß
in der Nachbarregion die Bewegungsrichtung der beiden übereinander strömenden
Zirkulationsglieder zueinander eine andere ist.
*) A. Defant: Stabile Lagerung ozeanischer Wasserkörper und dazugehöriger Stromsysteme,
Veröff. d. Inst. f. Meereskunde, N. F., R, A., Heft 19, Berlin 1929. — 2%) B. Helland-Hansen: Physical
Oceanography. Results of the „Michael Sars‘““ North Atlantic Deep-Sea- Expedition 1910. Bergen 1930.