508 Annalen der Hydrographie und Maritimen Mleteorologie, November 1937.
horizontalen und vertikalen Geschwindigkeitsschnitten oder Strommengedarstel-
lungen. Man bleibt sich im allgemeinen durchaus bewußt, daß dem zweiten Schritt,
der Auswertung der dynamischen Topographie einzelner Meeresgebiete, Ein-
schränkungen und Grenzen gezogen sind, die in den Voraussetzungen der hydro-
dynamischen Gesetze begründet liegen, vor allem in der Annahme stationärer
und reibungsloser Bewegungen. Weniger deutlich kommt aber in der Literatur
die Bedeutung des ersten Schrittes zum Ausdruck, nämlich in welchem Umfange
durch die Annahmen, die dieser erste Berechnungsgang einschließt, alle daran
anknüpfenden quantitativen Folgerungen über Geschwindigkeit und Wassertrans-
port bereits entscheidend bestimmt sind. Sinn des vorliegenden Aufsatzes ist es,
auf die Probleme, die in diesen Voraussetzungen enthalten sind, hinzuweisen,
ihre Bedeutung klarzustellen und den Weg zu einer Lösung zu beschreiten,
ohne daß dabei der Anspruch erhoben werden könnte, bereits das Ziel erreicht
zu haben,
Die dynamischen Berechnungen gehen stets von einem idealen Meeresniveau
vom Schwerpotential Null aus. Man vernachlässigt also als erstes den Atmo-
sphärendruck, ohne damit im allgemeinen einen merklichen Fehler zu machen,
Bisher hat man sich fast ausschließlich bemüht, einen Übergang von den
berechneten relativen Topographien zu den absoluten dynamischen Topo-
graphien der isobaren Flächen zu erreichen, indem man sie auf die bekannte
dynamische Topographie einer isobaren Fläche bezog. Als eine solche Bezugs-
fläche ist jene krumme Fläche im Ozeanraume anzusehen, bei der an den ver-
schiedenen Punkten die entsprechenden isobaren Flächen des Druckfeldes
tangential verlaufen. Eine derartig definierte Fläche haben wir an anderer
Stelle®) mit dem neutralen Ausdruck „dynamische Bezugsfläche“ bezeichnet. Für
die Bestimmung der absoluten dynamischen Topographie ist in der Festlegung
der dynamischen Bezugsfläche im Ozeanraume ein einschneidendes kritisches
Problem der gegenwärtigen dynamischen Ozeanographie zu sehen. Es bedarf
einer dringenden Klärung, wenn nicht der Wert aller absoluten quantitativen
Untersuchungen, die sich auf die dynamische Methode stützen, weiterhin dadurch
gingeschränkt bleiben soll, daß die Ergebnisse als relativ zu unbekannten Bezugs-
werten anzusehen sind.
Es liegt in der Definition der dynamischen Bezugsfläche begründet, daß inner-
halb dieser Fläche keine horizontalen Druckgradienten existieren dürfen und dem-
zufolge Bewegungslosigkeit herrschen soll, Damit ist das Problem der Bezugsfläche
streng genommen auf die Frage zurückgeführt, wo man im Ozean Bewegungs-
losigkeit annehmen kann. Derartig ideale Verhältnisse sind aber in der Natur
kaum in irgendeiner Schicht zu erwarten. Die Frage muß also dahin gewandelt
werden: Wo darf man im Ozean eine verhältnismäßig unbewegte Schicht („Null-
fläche“) suchen, in der die horizontalen Gradienten vernachlässigt werden dürfen,
ohne die Ergebnisse der absoluten Topographien wesentlich zu beeinflussen? Mit
Recht ließe sich hier anführen, daß in großen Tiefen die Voraussetzungen ge-
ringer Bewegung zweifellos erfüllt sind. Aber wie später gezeigt werden soll,
erscheint es nach den bisherigen Erfahrungen nicht ratsam, die dynamische
Bezugsfläche in zu große Tiefen zu verlegen, da bestimmte Vorgänge im Aufbau
die Berechnungen zunehmend mit der Tiefe beeinträchtigen.
Auf direktem Wege ist es bisher im Grunde genommen nur einmal und auch
nur ganz lokal möglich gewesen, eine Fläche, in der verhältnismäßig geringe
Bewegungen herrschten, im Ozean zu ermitteln, Es ist die Auswertung des Strom-
profiles von J. E. Pillsbury’) durch den Floridastrom von G. Wüst®). Metho-
disch gesehen ist dieser erste Versuch von G. Wüst außerordentlich wertvoll
geworden, Er hat vor allem dazu beigetragen, das Vertrauen in die Anwendbarkeit
des Bierknesschen Theorems auf die Verhältnisse im Ozean zu festigen, indem
3, G. Dietrich: Die Lage der Meeresoberfläche im Druckfeld von Ozean und Atmosphäre mit
besonderer Berücksichtigung des westlichen Nordatlantischen Ozeans und des Golfs von Mexiko,
Veröff, d. Inst, f. Meereskunde, N.F., R.A,, Heft 33. Berlin 1937. — ’) J. E. Pillsbury: A report
of Gulfstream explorations. DE of the Superintendent of the U, S. Coast and Gemletie Survey
1886, Washington 1887. — %) G. Wüst: Florida- und Antillenstrom, Veröff, d. Inst, f, Meereskunde.
N.F.. R.A, Heft 12. Berlin 1924.