Ann. d. Hydr. usw., LXV. Jahrg. (1937), Heit V.
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Tensorielle Theorie der Turbulenz
Von Hans Ertel, Berlin,
Inhaltsangabe: Es wird gezeigt, daß zur vollständigen Beschreibung der Turbulenz an Stelle des
einen Turbulenzkoeffizienten der „skalaren“ Austauschtheorie sechs Koeffizienten, nämlich die Kom-
ponenten eines symmetrischen Austauschtensors, erforderlich sind, Von den sechs Tensorkomponenten,
die ein fast vertikal stehendes Austauschellipsoid bestimmen, ist eine Komponente mit dem Schmidt-
schen Austauschkoeffizienten zu identifizieren, zwei weitere Komponenten sind von der Größenordnung
des Defantschen „Makroturbulenz“-Koeffizienten, ohne aber deswegen mit demselben in ihrer physi-
kalischen Struktur übereinzustimmen; die restlichen drei Komponenten hängen von der Lage der
Hauptachsen des Austauschellipsoids relativ zum gewählten Koordinatensystem ab. Die tensorielle
Cheorie der Turbulenz ergibt die Reibungsterme nach Prandtl und Taylor als Spezialfälle und ge-
stattet. eine theoretische Begründung der von Exner gefundenen Abhängigkeit des Schmidtschen
Austauschkoeffizienten vom vertikalen Temperaturgradienten,
I. Einleitung. Im Jahre 1921 hat A. Defant (1ı)*) gezeigt, daß die mit der
Zyklonentätigkeit der gemäßigten Breiten verbundenen Luftmassentransporte
und die dadurch bedingte Übertragung thermischer Energie als Turbulenz-
erscheinungen großen Stils aufgefaßt werden können, denen man einen Aus-
tauschkoeffizienten A von der Größenordnung
magn A = 107 — 10° gr cm 1 sec}
zuzuordnen hat, wenn man zur quantitativen Behandlung dieser „Makroturbu-
lenz“ die Übertragung der in der Theorie der gewöhnlichen Turbulenz („Mikro-
turbulenz“) entwickelten Transportgleichung als zulässig ansieht. Demnach ge-
hören zur Makroturbulenz die (horizontalen) Stromkomponenten
de de
SA) Sy = Az
(£ = Austauscheigenschaft pro Masseneinheit), deren Bildungsgesetz dem des
(vertikalen) Stromes der Mikroturbulenz N
E
@) SA
analog ist, wobei für die Mikroturbulenz
magna = 101 — 10% gr em 1 sec}
anzusetzen ist.
Nach der Untersuchung Defants sind die Ansätze (1) als eine „makro-
skopische“ Übertragung der Stromgleichung (2) der Mikroturbulenz aufzufassen;
außer der formalen Analogie von (1) und (2) kann eine Beziehung zwischen den
Ansätzen der Makro- und denen der Mikroturbulenz nicht bestehen, was sich darin
ausdrückt, daß in den Gleichungen der Makroturbulenz der Austauschkoeffizient
der Mikroturbulenz nicht auftritt, während umgekehrt in der Theorie der Mikro-
surbulenz der Austauschkoeffizient der Makroturbulenz nicht benötigt wird.
Im folgenden wird eine tensorielle Theorie der Turbulenz entwickelt, in
deren Gleichungen Austauschkoeffizienten von der Größenordnung der Makro-
und Mikroturbulenzkoeffizienten gemeinsam auftreten. Daß eine derartige Theorie
aus physikalischen Erwägungen heraus zu fordern ist, so unwahrscheinlich auch
auf den ersten Blick eine solche Theorie im Hinblick auf den mehrere Zehner-
potenzen betragenden Unterschied der Makro- und Mikroaustauschkoeffizienten
erscheinen mag, zeigt folgende Überlegung: Während der durch (1) gegebene
Makroaustauschstrom noch drei Zehnerpotenzen größer ist als der Mikroaus-
tauschstrom (2), sind die Ausdrücke
5.4. 07. DA
dx O2 dy dv?
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und
O8, de
da
(die maßgebend sind für die Änderung der Austauscheigenschaft £ in einem
Raumelement des turbulenten Strömungsfeldes) von gleicher Größenordnung!
%*) Diese und die folgenden Ziffern beziehen sich auf den Literaturnachweis am Schluß dieser Abhandlung,
Ann. d. Hydr. usw. 1937, Heit V.
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