Archiv 1897. 4.
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No. 4.
Anemometer-Studien auf der Deutschen Seewarte
von Dr. Cr. jVemnayer.
Bearbeitet von Dr. Hugo von Hasenkamp.
Einleitung.
Bei der grossen Wichtigkeit, welche die genaue Bestimmung der Windstärke, d. h. der Geschwindigkeit
und des Druckes des Windes, sowohl für den Meteorologen, als auch für den Seefahrer, den Ingenieur und
den Architekten hat, ist es leicht zu begreifen, dass seit mehr als zweihundert Jahren eine überaus grosse
Zahl der verschiedenartigsten Instrumente für diesen Zweck vorgeschlagen und zum Theil ausgeführt und
in Anwendung gekommen ist. Von den zahlreichen mechanischen und physikalischen Wirkungen bewegter
Luft, die zu diesem Zwecke herangezogen sind, kommen nur folgende drei für die in der praktischen
Meteorologie wirklich angewandten Instrumente in Betracht:
1. Die Rotationsbewegung eines um eine feste Axe drehbaren Systems unter dem Einfluss des Windes.
2. Die Vermehrung des Druckes gegen dem Winde ausgesetzte Flächen durch denselben.
3. Die durch den Wind hervorgerufenen Saugwirkungen.
Dementsprechend können alle praktisch angewandten Anemometer in folgende drei Klassen getheilt
werden: I. Rotationsanemometer,
2. Druckanemometer,
8. Sauganemometer.
Die ältesten von diesen sind die Druckanemometer; das erste Instrument zur Messung der Wind
stärke, von dem wir sichere Nachricht haben, war ein solches; es ist das gewöhnlich, jedoch, wie es scheint,
mit Unrecht nach Ilooke 1 ) benannte Pendelanemometer, welches aus einer leichten um eine horizontale
Axe drehbaren Tafel bestand, die neben einem getlieilten Quadranten frei schwingt. Der letztere wirkt
zugleich als Windfahne und dreht das Instrument stets dem Winde entgegen. Der einfache Apparat hat
in der Folge mancherlei konstruktive Aenderungen erfahren; zu bemerken ist, dass die gegenwärtig an den
russischen Stationen gebräuchliche Wild‘sehe Windstärketafel 2 3 ) im wesentlichen mit diesem ältesten an emo-
metrischen Apparat überein stimmt.
Die grossen theoretischen Schwierigkeiten, die sich der Reduktion der Anzeigen der pendelartigen
Instrumente in Folge des schiefen Windstosses entgegensetzen, haben zur Konstruktion der Normaldruck
platten - Anemometer geführt, bei denen der Druck des Windes auf eine ihm senkrecht entgegengehaltene
Fläche entweder durch die Zusammenpressung einer Feder oder durch an Spiralen und variabeln Hebeln
wirkende Gewichte gemessen wird.
Zu den Instrumenten der ersteren Art gehört der in Grossbritannien und in den Niederlanden weit
verbreitete Osler’sche Anemograph, :i ) dessen Hauptnachtheil in der Variabilität der'elastischen Kraft der
Feder unter dem Einfluss der Witterung und der Temperatur liegt, ein Fehler, der bei der anderen Klasse,
zu der das Cator’sehe Anemometer 4 ) gehört, vermieden ist. Die nicht zu beseitigenden variabeln Reibungs
hindernisse in Folge der der Platte nothwendig zu gebenden Führung machen aber auch hier die Angaben
unsicher und ungenau.
*) Hooke, Philos. Transactions II, 1GG7. No. 24, pag. 444.
2 ) Wild, Mittheilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Bern für 1S62, pag. 221.
3 j T. Osler, Description of the seif registering anemometer. Birmingham, 1S39. Auch Report Brit. Assoc. for 1839.
■*) Cator, Proeeedings of the Brit. Met. Soc. III, 49, IV, 27 u. 273, V, 263.