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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1S97 Nr. 2 —
solche Maschentriften gesammelt uncl theilweise in die Stromkarten eingetragen, aber auch er hat keine
eigentliche Flaschenpostkarte gezeichnet. Wie J. G. Kohl in seinem schon genannten Buche über den Golf
strom mittlieilt, war es ein Franzose Dayssy, welcher zuerst versuchte, eine Reihe von solchen Triften
synoptisch auf einer „Flaschenkarte“ zu vereinigen; wo diese Karte, welche Ende der dreissiger Jahre ent
worfen sein dürfte, veröffentlicht ist, wird nicht mitgetheilt,
Sehen wir daher von Dayssy ab, so hat A. B. Becher, Commander 1t. N., 1843 zuerst eine wirkliche
„Flaschenkarte“ für den Nordatlantischen Ozean im „Nautical Magazine“ ’) publizirt; es standen ihm damals
schon 119 lediglich zu diesem wissenschaftlichen Zwecke der Stromuntersuchung ausgeworfene Flaschenzettel
zur Verfügung, und er hat durchweg Abgangsort und Fundort mittelst einer graden Linie verbunden, auch
wenn sie stellenweise über festes Land verläuft, hat also nicht, wie es jetzt meist geschieht, die Linienführung
der anderwärts bekannten Verlaufsrichtung der Strömungen angepasst.
Diese Karte ist aucli deshalb wichtig, weil sie in den betheiligten Kreisen einen sehr heftigen Streit
über die Bedeutung, resp. den Nutzen oder Schaden solcher Flaschenexperimente hervorrief. Auf die dabei
zu Tage geförderten Gesichtspunkte braucht um so weniger hier eingegangen zu werden, als dieselben bei
der Besprechung des Materiales der Seewarte ganz von selbst beleuchtet werden; nur soviel sei erwähnt,
dass es sich hauptsächlich um die Frage handelte, ob die Flaschen vorwiegend dem Winde oder dem Ober
flächenstrom folgen — eine Frage, die für die Hochsee infolge der weitgehenden Uebereinstimmung zwischen
Luft- und Wasserbewegungen gar nicht die ausserordentliche Bedeutung hat —, und dass die ersten Autori
täten der englischen Seefahrt, wie Sir John Ross u. A. an der Debatte sich betheiligten, letztgenannter
allerdings in einer Weise, die entschieden, wie man sagt, das Kind mit dem Bade ausschüttete, da er von
„bottle fallacy“, „Flaschenschwindel“ u. s. w. redete und Annahmen und Folgerungen in Beclier’s Flaschen
karte suchte, von denen der Verfasser selbst sehr weit entfernt war.' 2 )
1852 gab Becher seine Flaschenkarte des Jahres 3843 mit Nachträgen bis November 1852 wieder
heraus, 3 ) und diese vervollständigte Karte lässt schon, man mag noch so vorsichtig und reservirt die Triften
beurtheileu, erkennen, dass sehr wohl unter gewissen Voraussetzungen recht nützliche Anschauungen über
Strömungen durch solche Darstellungen vermittelt werden können. Es wird offenbar der Nutzen immer
grösser, je besser wir auf Grund anderer Quellen über die Strömungen eines Ozeans schon orientirt
sind, da man dann die wahrscheinliche Richtung einer Trift mit vergleichsweise grosser Sicherheit in den
meisten Fällen eintragen kann und somit die ausserdem auftretenden Momente, wie Geschwindigkeit, Bevor
zugung gewisser Küsten u. s. w. als neue Ergebnisse dabei resultiren.
1868 hat dann Dr. G. Neumayer in einem kleinen Aufsatz in Petermann’s „Geographischen Mit
theilungen" J ) ausser allgemeinen Betrachtungen eine Besprechung einer besonders langen Flaschenreise ge
geben, deren Originalzettel heute nocli im Archiv der Seewarte als No. 1 der Sammlung (II, No. 83 in den
Tabellen dieser Arbeit) vorhanden ist; dabei ist, soweit wir sehen, zum ersten Male der sehr glücklich ge
wählte Ausdruck „Flaschenpost“ gebraucht.
Zwei Jahre später kommt A. Petermann in seiner grossen Arbeit über den Golfstrom * 5 ) auch auf
die „Flaschen-Triften“ (bottle experiments) zu sprechen, und zwar gelangt er zu einer wenig günstigen Be-
urtheilung der Stromflaschen, wobei er u. A. auf den von Admiral Irminger in demselben Heft 6 ) betonten,
aber gar nicht neuen Gesichtspunkt sich stützt, dass die Flaschen mehr der Wirkung des Windes als des
Stromes unterliegen sollen.
Unterdessen war man an verschiedenen Instituten zu der Ueberzeugung gelangt, dass bei Anwendung
der gehörigen Vorbehalte sehr wohl nützliche Bereicherungen unserer Kenntnisse über die Meeresströmungen
der Oberfläche möglich seien, wenn man umfassende Sammlungen von solchen Triften veranstalte und
dieselben dann einer wissenschaftlichen Sichtung unterziehe. Daher wurde in Sonderheit von Seiten der
Deutschen Seewarte in Hamburg seit 1878 die Ausgabe von Formularen, d. li. vorgedruckten Flaschenpost
zetteln organisirt, damit die Schiffer jeden Augenblick ein solches passendes Blatt, auf dem nur wenige
Zahlen und Namen nachzutragen sind, zur Hand haben.
!) 1843, S. 181—1S4, mit Karte.
3 ) Nautical Magazine 1852. S. 569.
5 ) Petermann's Mittheil., 1870. S. 240.
2 ) Nautical Magazine, 1843. S. 321, 406, 474, 531, 623.
4 ) Jahrg. 1S6S. S. 99—100.
6 ) A. a. O. S. 245.