Archiv 1905. 2.
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No. 2.
Uebei* die räumliche und zeitliche Verteilung des Wärmegelialts
der unteren Luftschicht.
Von Walter Knoche.
Einleitung.
Während wir seit langem ausführlich über die Temperaturverteilung in der untersten Luftschicht
als auch in der Vertikalen unterrichtet sind, und erstere insbesondere seit A. v. Humboldt wiederholt durch
Isothermen zur Darstellung gebracht wurde, mangelte es hingegen fast vollständig an einer Betrachtung der
waln’en Wärmeverhältnisse der Erdoberfläche. — Herr v. Bezold allein hat zu wiederholten Malen dringlich
darauf hingewiesen,*) welch ein durchgreifender Unterschied zwischen Lufttemperatur und Luftwärme besteht,
und hat auch als erster den Weg gezeigt, nach dem dieser neue thermodynamisch und klimatisch so außer
ordentlich wichtige Begriff rechnerisch zu behandeln ist.**) Auf Rat Herrn v. Bezolds habe ich das eben
erwähnte Thema nach verschiedenen Richtungen weiter betrachtet, mich dabei aber auf den Wärmegehalt
der untersten Luftschicht beschränkt. Ein großer Vorteil nun war es für mich, daß ich einige recht mühe
voll zusammengestellte Tabellen des verstorbenen Herrn cand. phil. Runge, der eine ähnliche Untersuchung
vorhatte, mitbenutzen konnte.
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*
Der Laie ist gern geneigt, die Temperaturverteilung auch als einen Ausdruck der Wärme Verteilung
aufzufassen, und selbst in wissenschaftlichen Abhandlungen herrschte eine erstaunliche Lässigkeit in der
Wahl der Begriffe Temperatur und Wärme. Man vergißt, daß die Temperatur für uns nur der Ausdruck
der freien, also fühlbaren Wärme ist; aber neben dieser ist, insbesondere im Wasserdampf, ein ansehnlicher
Vorrat an latenter Wärme vorhanden, die unter bestimmten Verhältnissen als freie in Erscheinung treten
kann. Es ist also ohne weiteres klar, daß, gleiche Temperaturen vorausgesetzt, feuchte Luft wärmer ist
als trockene, und daß eigentlich die uns so unangenehme schwüle Luft auch in thermodynamischem Sinne
als besonders warm zu bezeichnen ist. Wollen wir also die Temperaturverteilung auch weiterhin als Aus
druck der Wärmeverteilung betrachten, was in Bezug auf Anschauung vielleicht von Vorteil ist, so müssen
wir uns die gesamte latente Wärme in freie verwandelt denken, das heißt, zu der tatsächlichen Temperatur
käme ein aus der latenten Wärme herrührender Temperaturzuwachs. Diese höhere Temperatur wollen wir
nach Herrn v. Bezold als „äquivalente Temperatur“ bezeichnen. Im folgenden soll kurz ihre Herleitung
gegeben werden.
Wollte man in der Untersuchung des Wärmegehaltes der Luft einen bequemeren Weg einschlagen, so
wäre es praktisch, als Einheit die Gewichtseinheit, etwa 1kg Luft, zu wählen, also auch die spezifische
Feuchtigkeit, den Wasserdampfgehalt in gr pro kg Luft, in Rechnung zu ziehen, wie dies Herr Professor
Schubert***) getan hat. Weil aber 1kg Luft unter den verschiedenen Verhältnissen der Temperatur und
des Luftdrucks ein außerordenlich wechselndes Volumen darstellt, und da die äquivalente Temperatur neben
dem thermodynamischen Interesse auch ein entsprechendes physiologisches beansprucht, das organische
Leben sich aber im Raume vollzieht, so ist der Volumeneinheit unbedingt der Vorzug zu geben. Als Ein
heit wurde das Kubikmeter gewählt.
*) Wissenschaftliche Luftfahrten 1900, Bel. III, S. 310.
**) Eine weitere Abhandlung Herrn v. Bezolds über Luftwärme und Lufttemperatur wird demnächst erscheinen.
*♦*) Prof. E. Schubert: Der Wärmeaustausch im festen Erdboden, in Gewässern und in der Atmosphäre. Nach ihm
ist die äquivalente Temperatur angenähert t = ¿.5 y, wo y die spez. Feuchtigkeit bedeutet.