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Dr. H. Ra nsehelbach: Harmonische Analyse der Gezeiten des Meeres. I, Teil.
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von beiden Werten ist anzunehmen? Ist die Summe beider Werte das wahrscheinlichere Ergebnis?
Oder kann auch bei entgegengesetzten Phasen der einzelnen Verbundtiden V x(xy) und V (xx)v der
Unterschied beider Werte das Ergebnis sein? Ebenso könnte auch die Verbundtide V xy z als auf
drei verschiedene Weisen entstanden gedacht werden: R x (R y R,), R y (R / ,R x ) t R z (R x Ry)
Weiterhin bildet Ferrel Seichtwassertiden dritter Ordnung, indem er solche zweiter Ordnung
mit den Grundtiden M 2 und S a zusammensetzt. Als Amplituden erhält er :
Ä« 4X = |c'"Ä x ‘
C 281 ) R y = 4 c" R^Ry usw.
Darwin 1 ) führt in seiner 1883 veröffentlichten Arbeit für eine Reihe von Verbundtiden Index
zahlen auf, die die wahrscheinliche Größe der Amplituden dieser Tiden zueinander angeben sollen,
indem er die Produkte der Amplituden je zweier Grundtiden bildet. In der Encyclopaedia Britannica 2 )
gibt er das Ergebnis von Entwicklungen der Obertiden und Verbundtiden an, die besagen, daß sich
die Indexzahlen der Obertiden erster Ordnung zu denen der Verbundtiden erster Ordnung ver
halten wie die Quadrate der Amplituden der Grundtiden mal Winkelgeschwindigkeit der Grundtiden
zum Produkte der Amplituden je zweier Grundtiden mal Summe oder Unterschied der Winkel
geschwindigkeiten der beiden Grundtiden. Dementsprechend hatte er die Indexzahlen im Wieder
abdruck seiner Arbeit von 1883, in den Scientific Papers, Vol. I. Cambridge 1907, p. 33, schon
abgeändert. (Eingeklammerte Zahlen der ersten Spalte in Tabelle [H]). Darwin gibt jedoch nur
die Indexzahlen für die Verbundtiden erster Ordnung.
Harris 3 ) hat sich nicht näher mit der Entwicklung der Seichtwassertiden beschäftigt. Im
großen und ganzen übernimmt er unter geringer Erweiterung die Ferrel sehen Zusammenstellungen.
In neuerer Zeit hat Doodson 1 ) eine Aufstellung von Seichtwassertiden erster und höherer
Ordnung gegeben, die in Liverpool von Bedeutung werden können. Es ist an dieser Stelle jedoch
nicht angegeben, nach welchem Bildungsgesetz die wahrscheinliche Größe der Amplituden errechnet ist 5 ).
Da in den deutschen Tideflüssen die Seichtwassertiden eine bedeutende Rolle spielen, habe ich
es nicht für überflüssig gehalten, eine ausführliche Untersuchung darüber anzustellen, welche Verbund
tiden überhaupt eine merkliche Größe erreichen können.
a. Die Grundgleichungen.
H. Lamb 8 ) gibt in seinem Lehrbuch der Hydrodynamik die Differentialgleichungen an, die
gestatten, die Seichtwassertiden erster und höherer Ordnung zu ermitteln; auf die Reibung wird
dabei jedoch keine Rücksicht genommen.
Lamb betrachtet Wellen, die sich längs eines geradlinigen Kanals mit wagerechtem Bett und
parallelen senkrechten Wänden fortpflanzen. Es sei die a>Achse parallel zur Längsrichtung des
Kanals, die y-Achse senkrecht nach oben gerichtet. Die Ordinate der freien Wasseroberfläche, die
der Abscisse x zur Zeit t entspricht, werde mit y — A 0 + h bezeichnet, wo A 0 den mittleren Wasser
stand bedeutet. Unter der Annahme, daß die Beschleunigung der Wasserteilchen in senkrechter
Richtung vernachlässigt werden kann, ist die Geschwindigkeit in wagerechter Richtung u auf jedem
Querschnitt des Kanals als gleichförmig anzusehen.
Die Gleichung der Bewegung in wagerechter Richtung wird
. , du du dh
(282) -j t + « = — !7
dx
dz'
') British Association Report 1883, p. 77.
. *) The Encyclopaedia Britannica. Cambridge 1911. Vol. 26. Art. Tides, p. 952.
3 ) Rollin A. Harris, Manual of Tides, Part II. § 48. U. S. Coast and Geodetic Survey Report 1897. App. Nr. 9,
p. 532/3; s. a. Table 36, p. 579/81.
4 ) A. T. Doodson, To Assist Work on the Tides. British Association Report 1921, pp. 217—243.
*) Auf Grund von Formeln, die im folgenden abgeleitet sind, komme ich bei Benutzung gleicher Ausgangswerte jedoch
zu teilweise abweichenden Ergebnissen.
8 ) H. Lamb, Lehrbuch der■ Hydrodynamik. Deutsche autorisierte Ausgabe. Besorgt von J. Friedei. Leipzig und
Berlin 1907.