Dr. H. Kauschelbach: Harmonische Analyse der Gezeiten des Meeres. I. Teil.
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c. Veränderlichkeit der Seichtwassertiden.
Nach Darwin 1 ) ist es ferner „wahrscheinlich“, daß die Veränderlichkeit der Obertiden M 4 , M 6 ,
M g von Jahr zu Jahr als von der zweiten, dritten und vierten Potenz des Faktors von M 2 abhängig
angenommen werden kann. Da durch den Faktor von M 2 die beobachteten Werte schon nicht hin
reichend dargestellt werden, muß die Veränderlichkeit der Obertiden mit den höheren Potenzen
dieses Faktors erst recht unsicher sein.
Ebenso unbekannt ist die Beziehung, die zwischen der Phase einer Obertide und der Amplitude
der zugehörigen Grundtide besteht. Es bleibt daher zunächst nichts anderes übrig, als das Argument
einer Obertide zu einem Vielfachen des Arguments der Grundtide anzunehmon. Wird dann gefunden,
daß sich das Argument der Obertide von Jahr zu Jahr von der errechneten Phase um eine mit der
Amplitude veränderliche oder um eine feste Zahl unterscheidet, so wird erkannt werden können,
ob die Phase dieser Obertide von der Amplitude der Grundtide abhängig ist oder nicht.
Ist mindestens eine der die Verbundtiden bildenden Grundtiden eine Mondtide, so werden sich
die Amplituden dieser Verbundtiden ebenfalls von Jahr zu Jahr ändern, nach Darwin wahrscheinlich
im Verhältnis zum Produkt der Faktoren der Grundtiden. Bei einer Durchsicht der später folgen
den Zusammenstellungen der Verbundtiden wird bemerkt werden, daß eine Reihe von Verbundtiden
Winkelgeschwindigkeiten besitzt, die den Winkelgeschwindigkeiten von Grundtiden gleich oder
sehr nahe gleich sind, ferner daß eine Reihe von Verbundtiden Winkelgeschwindigkeiten aufweist,
deren Entstehung aus mehreren verschiedenen Paaren von Grundtiden möglich ist. Im Ergebnis
wird im ersten Falle also eine Tide ermittelt, die sich äus einer Grundtide und einer Verbundtide
zusammensetzt, im zweiten Falle eine Verbundtide, die selbst wieder aus mehreren Verbundtiden
mit gleicher Winkelgeschwindigkeit besteht. Im allgemeinen werden die verschiedenen Teile, aus
denen sich gewisse Tiden zusammensetzen, verschiedene Argumente und Faktoren haben. Es ist
Brauch geworden, jeder Verbundtide ein bestimmtes Argument und einen bestimmten Faktor zuzu
ordnen, in der Annahme, daß sich die Verbundtiden so klein ergeben, daß sie als nur in einer
einzigen Weise entstanden behandelt werden können. Aber dadurch, daß sich die Unterschiede der
Phasen wie die Verhältnisse der Amplituden mehrerer sich zu einer zusammensetzenden Verbund
tiden langsam ändern, ist es so lange nicht möglich, zu den wirklichen harmonischen Konstanten zu
gelangen, als bis die Tiden in irgendeiner Weise wieder getrennt worden sind oder bis die
harmonischen Konstanten der Verbundtiden als mit der Zeit langsam veränderlich dargestellt
werden. Da eine Auflösung gewisser Tiden in ihre Einzelteile bisher noch niemals versucht worden
ist, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß die schlechte Übereinstimmung der Ergebnisse von Jahr
zu Jahr für gewisse Tiden durch diesen Mangel zu erklären ist.
Auf einige Unstimmigkeiten bei der Zuordnung von Argumenten und Faktoren zu gewissen
Tiden sei hier noch aufmerksam gemacht.
Die Variationstide // 2 hat die gleiche Winkelgeschwindigkeit wie die Verbundtide 2MS 3 aus
M 4 — S 2 . Darwin und, diesem folgend, Borgen nehmen an, daß die Verbundtide die Variationstide
an Größe übertrifft; sie legen demgemäß der Tide mit der Winkelgeschwindigkeit = ¿2ms,
= 2y — 4 er -J- 277 als Argument die Größe Arg. g< i = Arg. M 4 und als Faktor den Wert — /¿ms,
= /m 4 bei. Harris 2 ) führt beide Teile getrennt auf und setzt Arg. m ----- Arg. M 4 — % (§ — v), = / M .,
und Arg. 2MS 2 — Arg. M 4 , /211s» = /m 4 . Hessen setzt Argument und Faktor für genau wie
Harris an, übergeht aber die Verbundtide 2MS 2 .
Darwin schlägt vor, die Tide mit der Winkelgeschwindigkeit i == 3/ — 4<r als aus M 4 — K 4
entstanden zu behandeln, und ordnet ihr demnach das Arg. M 4 — Arg. K t und den Faktor j M¡ • f Kt
zu. So wenig wie Darwin die Verbundtide MK 3 mit der Winkelgeschwindigkeit i MKs = — 20
*) G. H. Darwin, ,Report of a Committee for the Harmonic Analysis of Tidal Observations'. British Association
Report 1883, p. 78.
*) Rollin A. Harris, Manual of Tides, Part III. U. S. Coast and Geodetic Survey Report 1894, Part If, App. 7,
pp. 190—193.
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