Dt. H. Rauschelbach: Harmonische Analyse der Gezeiten des Meeres. I. Teil. j7
die die augenblickliche Lage des Mondknotens berücksichtigt, ist eine Funktion der beiden
Größen 5 und v, die ihrerseits wieder wie auch I von N abhängig sind. f bedeutet die Länge des
aufsteigenden Mondknotens vermindert um den Bogen vom Schnittpunkt der Mondbahn mit dem
Himmelsäquator bis zum aufsteigenden Knoten der Mondbahn mit der Ekliptik; v ist die Gerade
aufsteigung des Schnittpunktes der Mondbahn mit dem Himmelsäquator. Um bei dieser nicht ganz
reinen harmonischen Darstellung der Tiden einen möglichst geringen Fehler zu begehen, werden
für / x der Wert für I und für u x der Wert der Funktion von f und v genommen, die genau für
die Mitte des Zeitraums gelten, für die die Beobachtungen zu bearbeiten sind.
Jede Tide x hat ihr besonderes f x und u x ; nur die reinen Sonnentiden S p , R 2 , T 2 , P x haben
den Wert f x = 1 und u — 0, da die Sonnentiden ja nicht von der Lage der Mondbahn abhängig sind.
Die Winkelgeschwindigkeit der Tide x, die erste Ableitung des Arguments V x = F(t, s, p, h)
nach der Zeit ist eine Funktion von y, a, 1], co, wenn
y — die Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde,
o — die mittlere Bewegung des Mondes,
t] — die mittlere Bewegung der Sonne,
co = die mittlere Bewegung des Mondperigäums
bedeutet. Da V x —i x t ist, kann der Ausdruck (17) auch in der üblichen Form
(20) R x ■ cos (4 t — f x )
geschrieben werden.
4. Seichtwassertiden und Veränderlichkeit der Tiden.
Außer den Tiden, die den verschiedenen harmonischen Gliedern der fluterzeugenden Kräfte
entsprechen und als Grundtiden bezeichnet werden mögen, tritt in flachem Wasser, d. h. wenn die
Amplituden einzelner Tiden nicht mehr als geringe Bruchteile der Wassertiefe angesehen werden
können, noch eine ganze Anzahl von Tiden auf, die nicht unmittelbar von den fluterzeugenden
Kräften abhängen und denen daher in der Entwicklung dieser Kräfte keine harmonischen Glieder
entsprechen, die die gleichen stündlichen Phasenänderungen aufweisen. Da diese Nebentiden um so
bemerkbarer werden, je seichter das Wasser wird, werden sie auch Seichtwassertiden genannt; diese
werden noch in Obertiden und Verbundtiden geschieden.
a. Entstehung der Seichtwassertiden.
Wenn eine Welle aus tiefem Wasser in seichtes Wasser übergeht, so unterliegt die Form der
Welle einer mit der Weiterbewegung fortschreitenden Veränderung. Besonders in Flüssen wird der
vordere, ansteigende Teil der Gezeitenkurve meist steiler als der hintere, abfallende Teil sein. Die
Abweichung der Kurve von der einfachen harmonischen Form läßt sich durch Einführung der
Obertiden, von einfachen harmonischen Gliedern, deren Phasen um das Zwei-, Drei-, Vierfache der
Winkelgeschwindigkeit der entsprechenden Grundtide zunehmen, darstellen.
Schreiten zwei oder mehrere Wellen gleichzeitig mit verschiedener Geschwindigkeit in tiefem
Wasser fort, so ist die Schwankung der Meeresoberfläche hinreichend bestimmt durch die Summe
der Verschiebungen in senkrechter Richtung, die die einzelnen Wellen hervorbringen. Sind jedoch
in seichtem Wasser die Verhältnisse der Amplituden zweier Wellen zu der Tiefe des Wassers nicht
gering, so ist die Darstellung der Bewegung des Meeresspiegels nach dem Satz von der Über
lagerung von Wellen nur in erster Näherung richtig. Die Form der entstehenden Kurven ist in
zweiter Näherung außer von den Quadraten, Kuben usw. auch von den Produkten je zweier oder
mehrerer Amplituden der Grundtiden abhängig. Es sind daher außer den Obertiden weitere Zusatz
tiden, die Verbundtiden, einzuführen, deren Winkelgeschwindigkeiten gleich den Summen oder den
Unterschieden der Geschwindigkeiten je zweier oder mehrerer Grundtiden sind. Es kann an
genommen werden, daß nur diejenigen Grundtiden zu je zweien oder mehreren Verbundtiden bilden,
deren Amplituden die größten Produkte ergeben.
3