56
Zusammenhang stehender leichten Schiffbarkeit des Meeres schlossen, glaubten
andere aus dem gewaltigen längs der Küste heruntergehenden Eisstrom eine
sehr starke Abkühlung folgern zu dürfen.
In wie weit die eine oder andere Ansicht zutreffend erscheint, darüber
giebt uns die von Herrn Koldewey unternommene Bearbeitung des während
der Expedition gesammelten Beobachtungsmaterials einigen Aufschluss, Diese
Bearbeitung und die der hydrographischen Beobachtungen bildet den vierten
Abschnitt (pag. 521—70) der zweiten Abtheilung der wisseuschaftlichen Er-
gebnisse der zweiten Deutschen Nordpolfahrt in den Jahren 1869 und 1870,
welche im Jahre 1874 veröffentlicht ist (s. Literarisches pag. 65). Wir ent-
nehmen dieser verdienstvollen Arbeit des Herrn Koldewey nachstehende An-
gaben über die Meteorologie und Hydrographie der Ostküste von Grönland.
Aus den theils an Bord der „Germania“ im Winterhafen der Sabine-
Insel, theils auf Sabine - Insel selbst in 74°32,% Nord-Br, und 18°49’ West-Lg.
stündlich (vom Mai ab zweistündlich) beobachteten Temperaturen ergaben sich
folgende Monatsmittel:
1869 August + 0.7° C. 1870 Febr. — 23.8° C,
Sept. — 483° „ » März — 238°
Oct. — 138° „ „ April — 165° „
Nov. — 18° „ Mai — 554°
„ Dez. — 171° „ Juni + 283°
1870 Jan. — 242° „ Juli + 38°
und daraus das Jahresmittel = — 117° „
Der kälteste Monat ist also der Januar, doch weichen Februar und März
nur sehr wenig ab, auch wurde die niedrigste Temperatur — 40.s C, am
21, Febr. beobachtet, dagegen ist der Juli der wärmste Monat und die höchste
Temperatur war + 13.,° C. am 1. Juli 1870; dies ergiebt einen Unterschied
von 53.4° C. Um bei der grossen Veränderlichkeit der Temperaturen ver-
gchiedener Jahre in arktischen Gegenden einen Anhalt zu gewinnen, in wie weit
diese Monatsmittel von normalen, d. h. solchen, die nur aus längeren Beobach-
tungsreihen gewonnen werden können, abweichen, hat Herr Koldewey auf
Veranlassung von Herrn Professor Dove 10jährige Mittel der norwegischen Sta-
tionen und 10jährige Mittel von Omenak (10°40‘ Nord-Br., 51°59’ West-Lg.)
aus vorhandenem Material, sowie die Abweichungen der gleichzeitigen Beob-
achtungen des Jahres 1869/70 von diesen Mitteln berechnet und diese Abwei-
chungen unter sich und mit dem Gange der beobachteten Temperaturen in
Ostgrönland verglichen. Aus diesen Untersuchungen schliesst der Verfasser
mit einiger Wahrscheinlichkeit auf einen ähnlichen Temperaturgegensatz zwischen
der Westküste von Norwegen und der Ostküste von Grönland, wie derselbe bei
den gegenüberliegenden Küsten von Europa und Amerika insofern stattfindet,
als in der Regel kalte Winter in Amerika milden Wintern in Europa und um-
gekehrt entsprechen. Ferner wird gefolgert, dass in dem Beobachtungsjahr
1869/70 keine sehr starken Abweichungen von Normalzuständen mit Ausnahme
vielleicht des Monats Dezember, der als entschieden zu warm gefunden wurde,
in Ostgrönland stattgefunden haben und das Jahr als ganzes eher um etwas zu
warm gewesen sein mag. Ist dieses der Fall, so würde die Küste allerdings
um etwas kälter sich herausstellen, als die Isothermenkarten*) von Dove die-
selbe erscheinen lassen, doch ist andererseits die Winterkälte auch nicht so
gross, wie von Manchen früher angenommen wurde. Eine weitere Vergleichung
der Beobachtungen auf Sabine Insel mit der von Capitain Hegemann beobach-
teten Wintertemperaturen an Bord der „Hansa“ und während der Trift der
Eisscholle einerseits und denen der Stationen von Westgrönland andererseits
giebt über die Wärmeabnahme mit zunehmender Breite einigen Aufschluss;
dieselbe wird für beide Küsten ziemlich übereinstimmend gefunden und da auch
die Monatsmittel für dieselben Breiten uicht viel von einander abweichen, so
scheint der Schluss nicht ganz unberechtigt, dass die Jahres-, wie auch die
meisten Monatsisothermen über Grönland ziemlich parallel unter sich und
parallel den Breitengraden verlaufen.
*) Nach denselben geht die Jahresisotherme von — f° C. durch Sabine-Insel, während
11»9 heanhachtet worden ist.