4 Meereschemie
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System Nordsee
So dominierten mit Beginn der 1970er Jahre die kontrollierten und genehmigten Ab
leitungen radioaktiver Abwässer der europäischen Wiederaufarbeitungsanlagen für
Kernbrennstoffe, La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien), die Aktivitäts
konzentrationen künstlicher Radionuklide in der Nordsee. Die Kontaminationen der Iri
schen See (Sellafield) bzw. des Kanals werden mit den Meeresströmungen in andere
Meeresgebiete verfrachtet und erreichen die Nordsee über die nordwestliche Öffnung
zum Atlantik (Sellafield) bzw. über die Straße von Dover. Die Transportzeiten von La
Hague bzw. Sellafield bis in die Deutsche Bucht belaufen sich auf etwa ein bzw. drei
Jahre, weshalb nur langlebige Radionuklide mit Halbwertszeiten > 1 Jahr von Interes
se sind (Bailly du Bois und Dumas 2005).
Internationale Anstrengungen - z. B. im Rahmen des Oslo/Paris-Übereinkommens
(www.ospar.org) - haben bewirkt, dass die in den 1970er Jahren sehr hohen Einlei
tungen beider Wiederaufbereitungsanlagen kontinuierlich reduziert wurden. Das
Meerwasser der Nordsee ist deshalb inzwischen nur sehr gering durch künstliche Ra
dionuklide belastet.
Ein Großteil der Belastung durch 137 Cs und Transurane resultiert inzwischen aus re-
suspendierten Partikeln des Sediments der Irischen See und weniger aus den gegen
wärtigen Ableitungen der Wiederaufarbeitungsanlagen (Kershaw et al. 1999). Das
Sediment der Irischen See wurde vor allem in den 1970er Jahren hoch kontaminiert.
Die Quellstärke des Sediments für 137 Cs wird auf 50 bis 70 TBq/Jahr geschätzt, was
dem 5- bis 10fachen der gegenwärtigen Einleitungen entspricht. Resuspension wird
sowohl durch natürliche Ereignisse wie Stürme, als auch durch menschliche Aktivitä
ten wie Grundnetz- und Baumkurrenfischerei hervorgerufen.
Die Oberflächensedimente der Nordsee sind großteils sandig, was eine nur schwache
Tendenz zur Anreicherung von Radionukliden beinhaltet. Für 137 Cs liegen die spezifi
schen Aktivitäten hier unter 10 Bq/kg, für Transurane zwischen 1 und 2 Bq/kg Trocken
masse. Die spezifische Aktivität des natürlichen 40 K übersteigt 100 Bq/kg meist deut
lich. Das Sediment ist in den meisten Gebieten bis in 40 cm Tiefe weitgehend durch
mischt, so dass sich keine Informationen über unterschiedliche Eintragzeiten im
relevanten Zeitraum der vergangenen 50 Jahren ableiten lassen. Dieser Umstand in
diziert, dass die Abreicherung der Wassersäule durch Sedimentation ein durch Wie
derfreisetzung abgelagerter Radionuklide umkehrbarer Prozess ist. Die seit einigen
Jahren relativ konstanten Volumenaktivitäten von 137 Cs und 90 Sr (Abb. 4-47, S. 235)
deuten möglicherweise auf ein Gleichgewicht dieser Austauschprozesse hin.
Der Fallout infolge des Reaktorunfalls von Tschernobyl im April 1986 ist nur noch im
Ausstrom des Ostseewassers nachweisbar, das die Nordsee mit dem Norwegischen
Küstenstrom verlässt. Ableitungen aus Kernkraftwerken oder anderen kerntechni
schen Einrichtungen spielen für das Aktivitätsinventar der Nordsee kaum eine Rolle.
Sie sind allenfalls in unmittelbarer Umgebung dieser Anlagen nachweisbar. Dies gilt
auch für die bis 1982 durchgeführte Versenkung schwach-radioaktiver Abfälle in mehr
als 4000 m Tiefe im Nordostatlantik. Auch die früheren Versenkungen radioaktiver Ab
fälle durch die ehemalige UdSSR in der Barents- und Karasee, oder das 1989 gesun
kene russische Atom-U-Boot >Komsomolets< in etwa 1700 m Tiefe in der Norwegen
see führten zu keiner erhöhten Belastung dieser Meeresgebiete oder gar der Nordsee.