Peppler, W.: Die Temperaturverhältnisse am Bodensee bei kalten, ablandigen Winden. 71
Man wird damit rechnen können, daß die Erwärmung der Luft beim Überwehen
des ganzen Sees sich bis etwa 200 bis 300 m Höhe fortpflanzt.
Wenn die Böigkeit diesen Wärmeaustausch wesentlich fördert, dann muß die
vertikale Temperaturabnahme in der unteren Luftschicht über dem See direkt
abhängig sein von dem Böigkeitsgrad und damit auch von der Windgeschwindig-
keit. Diese Abhängigkeit zwischen Gradient und Windstärke am Boden, unter-
sucht an den Schichten 2 bis 100 m und 100 bis 600 m Höhe gibt Fig. 2,
Die Kurven haben einen recht bemerkenswerten Verlauf. Die Kurve für die
unterste Schicht (2 bis 100 m) zeigt, daß der Temperaturgradient bei den geringen
Geschwindigkeiten von Fie. 2
L bis 3 m/sek. ziemlich ; m'sek. Sram
konstant ist, aber ober-
halb 4 m/sek, wächst
der Gradient mit zuneh-
mender Windgeschwin-
digkeit rasch an und
erreicht bereits bei
7 m/sek. den adiabati-
schen Wert von 1°
Für größere Geschwin-
digkeiten stehen nicht
genügend Beobachtun-
gen zur Verfügung,
Man wird nicht fehl-
gehen, wenn man diesen
Verlauf der Kurve in Zusammenhang mit dem Böigkeitsgrade bringt. Die Kurven
ähneln sehr denen, die der Verfasser bereits früher aus Beobachtungen an der
Küste von Flandern berechnet hat!). Andererseits ist bereits bekannt, daß bei
strömender Luft am Boden bei etwa 4 m/sek. eine kritische Geschwindigkeit liegt,
oberhalb deren die Böigkeit sprunghaft zunimmt®?).
Wie die zweite Kurve der Fig, 2 für die Schicht 100 bis 600 m zeigt, besteht auch
in größerer Höhe noch eine schwache Abhängigkeit von der Windgeschwindigkeit,
aber der mittlere Gradient bleibt hier sehr klein, da in dieser Höhe häufig In-
rersionen liegen, die die kalte Bodenschicht nach oben begrenzen. Wahrscheinlich
wird die Höhe, bis zu der die Erwärmung durch das wärmere Seewasser bei kalter,
ablandiger Strömung nach oben sich erstreckt, bci etwa 300 m im Mittel liegen.
Man kann vielleicht diese Ergebnisse vom Bodensee auf große Dimensionen
wie bei den Polarfrontausbrüchen übertragen. Die kalte, etwa aus einem arktischen
Hochdruckgebiet ausbrechende Luft ist anfangs ebenfalls stabil geschichtet. Die
Kaltluftschicht reicht, wie bei unseren winterlichen Antizyklonen, nur bis zu einer
beschränkten Höhe, die bei 1 bis 2 km liegt. Darüber lagert wärmere Luft,
Bewegt sich die untere kalte Luft südwärts über den wärmeren Ozean, dann
wird sie von unten erwärmt, Die Erwärmung wird anfangs rascher, später lang-
samer mit der Höhe fortschreiten, bis die kalte Schicht durchmischt ist und die
Schichtung unstabil wird. Die Höhe, bis zu der die Erwärmung sich fortpflanzt,
wird von der Temperaturdifferenz, besonders aber vom Grad der dynamischen
Durchmischung abhängig sein. Bei den Vorgängen über großen Räumen wird
aber weniger die Böigkeit geringeren Grades als die höherer Ordnung (größere
Wirbel) wirksam sein. Dieser Turbulenzvorgang ist es, der bis zu großen Höhen
die ursprünglichen Eigenschaften der Polarluft durch Wärme- und Wasserdampf-
aufnahme verändert. Aus dem häufigen Vorkommen von Diskontinuitäten der
Temperatur in einer bestimmten Höhenschicht bei maritimen Polarluftvorstößen
über Mitteleuropa könnte man schließen, daß die Erwärmung normalerweise sich
bis zu einer Höhe von 2 bis 3 km erstreckt,
'y Die Beobachtungen der Marine-Drachenstationen Breedene/Meer und St, Michel bei Brügge in
den Jahren 1915 bis 1918, Aerologische und hydrographische Beobachtungen der deutschen Marine-
stationen während der Kriegszeit 1914 bis 1918, Heft 4, S. 4i, — % E. Barkow., Windänderung mit
der Höhe und Turbulenz. Ann, d. Hydr. usw. 45, S. 1 bis 6 und A, Peppler: Untersuchungen über
die Geschwindigkeit und Böigkeit des Windes. Das Wetter, 1918, 8. 165 bis 175.