Maurer, H.: Zum Begriff der Loxodrome,
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sogar Jakob Bernoulli für sich als Kronzeugen auf (S. 120), weil jener in der
Definition der logarithmischen Spirale, deren Verwandtschaft mit der Loxodrome
ar hervorhebt, von schiefen Schnittwinkeln spricht. Wenn hier Bernoulli an
den für die Theorie dieser Kurven ganz uninteressanten Spezialfall mit recht-
winkligem Schnitt nicht gedacht hat und der allgemeinen Vorstellung der Kurven-
form entsprechend von schiefem Schnitt spricht, so kann man doch daraus nicht
folgern, daß ein so systematischer Kopf wie Bernoulli damit hätte aussprechen
wollen, daß er den Fall mit rechtwinkligem Schnitt nicht als Spezialfall dieser
Kurven angesehen wissen wolle.
Mir scheint es, daß Herr v. Böhm die Linien der gleichbleibenden Kurs-
winkel 0°, 90°, 180°, 270° (abgesehen von den historischen Gründen) deshalb nicht
als Loxodromen anerkennen will, weil diejenigen vom Winkel 90° und 270°, ab-
weichend von allen anderen Loxodromen, nicht bis in die Pole laufen, und anderer-
seits diejenigen vom Kurswinkel 0° und 180° nicht alle Meridiane unter gleichem
Winkel zu schneiden scheinen, wie es die Definition doch erfordert, Nun glaube
ich, daß man darin keinen Grund zur Änderung der gebräuchlichen Auffassung
sehen sollte. Auch andere Kurven haben ja bei gleicher Definition verschiedene
Kurvenformen, Die Lemniskaten eines Systems haben teils Biskuitform, teils zer-
fallen sie in zwei geschlossene Kurven; die Schneckenlinien zu einem Grundkreis
haben teilweise einen Doppelpunkt, teilweise keinen usw. So brauchen wir uns
auch nicht zu wundern, wenn die Kurven gleichbleibenden Kurses zwar im all-
gemeinen in endlicher Bogenlänge von Pol zu Pol gehen, im Spezialfall mit dem
Kurswinkel 90° aber den Polen nicht näher kommen. Auch Herr v. Böhm
empfindet ja das Bedürfnis, alle Kurven gleichbleibenden Kurses unter einen
Begriff zusammenzufassen, wie sein Vorschlag der Bezeichnung „Isodromen“ zeigt.
Warum sollen wir nicht sagen: „Alle Loxodromen als Linien gleichbleibenden
Kurswinkels umlaufen beide Pole unendlich oft, erreichen sie aber, mit Ausnahme
des Sonderfalles vom Kurswinkel 90°, mit endlicher Bogenlänge? Über dies
Erreichen der Pole sagt der Aufsatz (S. 135): „So ist denn auch — in aller Strenge
gesagt — der Pol für die Loxodrome ein asymptotischer Punkt, dem sie sich
ohne Unterlaß bis ins Allerkleinste nähert, ohne ihn jedoch trotz endlicher Länge
aller unendlich vielen Windungen wirklich jemals vollends zu erreichen,“
Hier ist die mystische Angabe, daß ein laufender Punkt das Ende einer endlichen
Bahnlänge niemals erreichen könne, unzutreffend. Da die Bahnlänge endlich ist,
so wird sie bei jeder endlichen Bahngeschwindigkeit in endlicher.Zeit bis zum
Endpunkt durchlaufen. Die Vorstellung, daß der Endpunkt niemals („niemals“
ist eine Zeitbestimmung!) erreicht werde, kommt durch den Trugschluß zustande,
daß man sich darauf kapriziert, diese endliche Bahnlänge in Umläufe um den
Pol zu zerlegen, deren es tatsächlich zwar unendlich viele, aber doch auch von
ins Unendliche abnehmender Bogenlänge gibt. Wer behauptet, die Loxodrome
erreicht den Pol nie, macht genau denselben Trugschluß wie die alten Sophisten,
die behaupteten, der zehnmal schneller als die Schildkröte laufende Achill könne
diese nie einholen, wenn sie neun Stadien Vorsprung habe; denn wenn Achill am
Auslaufsort der Schildkröte sei, habe diese 0,9 Stadien Vorsprung, und wenn dieser
eingeholt sei, noch 0,09 Stadien und so fort ins Unendliche. Der Trugschluß ist
nun, daß man, weil man die endliche Strecke von 10 Stadien, die Achill bis
zum Einholen der Schildkröte durchlaufen muß, in unendlich viele Stücke
9 + 0 + Yı0o0 + Yıooo + ---. zerlegt hat, erklärt, das Ende der Strecke könne
nie erreicht werden. Ganz genau so liegt es bei der Loxodrome, wenn man ihre
andliche Bahnlänge in unendlich viele Umläufe zerlegt. Diese Zerlegung der als
endliche Strecke nachgewiesenen Bahnlänge ist völlig willkürlich und unnötig,
und die Parallele, man könne die ‘unendlich vielen Summationen der Reihe
U, +14 + Ya +... nicht ausführen (S. 135), ist verfehlt, denn die Bahnlänge b
der Loxodrome ist uns gar nicht als eine unendliche Reihe gegeben, sondern
einfach in der Formel b = (%, — g,) sec k, wo.k der Kurswinkel und g, und %,
Anfangs- und Endbreite des Bogens sind. Freilich ist für die Loxodrome die
re)
. Maurer, Loxodromische Entfernungen. Ann, d. Hydr. usw. 1919, S. 42/43.